Tätigkeitsfelder und Perspektiven ambulanter Suchthilfe aus Sicht eines Einrichtungsträgers
Anja Vennedey ist Leiterin des Suchtberatungs- und Therapiezentrums der Diakonie Düsseldorf mit Fachambulanz und Tagesklinik. Vor dem Hintergrund ihrer beruflichen Praxis und einer gut zehnjährigen Berufserfahrung in leitender Funktion beschreibt sie die aktuelle Situation und sich abzeichnende Entwicklungen in der ambulanten Suchthilfe. Der Artikel beruht auf einem Vortrag, den die Autorin im September 2014 auf der „23. Fachtagung Management in der Suchttherapie“ des buss in Kassel gehalten hat.
Angebote der ambulanten Suchthilfe
Im übertragenen Sinne und auch ganz real befinden wir uns als Anbieter ambulanter Suchthilfe in einem Umbauprozess. Seit 30 Jahren sind die ambulanten Suchthilfeangebote der Diakonie Düsseldorf unter derselben Adresse zu finden. Doch zurzeit sind wir mit unseren Angeboten ausgelagert, da wir umbauen, um auf der einen Seite Strukturvorgaben wie „Barrierefreiheit“ umzusetzen und auf der anderen Seite moderner und kundenfreundlicher zu werden.
Der Träger hat eine lange Tradition in der ambulanten Suchthilfe. Im Suchtberatungs- und Therapiezentrum beraten wir Menschen, die Probleme mit Alkohol, Medikamenten, pathologischem Glücksspiel und missbräuchlichem/pathologischem Internetgebrauch haben, und ihre Angehörigen. Wir sind Träger einer Fachstelle für Suchtprävention, die wir in Kooperation mit dem Düsseldorfer Drogenhilfe e. V. betreiben. Mit unserem alkoholfreien „cafe drrüsch“ bieten wir einen suchtmittelfreien Treffpunkt, der sich seit zehn Jahren als Teil des Stadtteils begreift und mit kulturellem Angebot Anlaufstelle für Klienten und Bewohner des Stadtteils sein will. Hier bieten wir auch für Klienten Beschäftigungsmöglichkeiten im Service- und Küchenbereich an als ein erster Schritt zurück in das Arbeitsleben. Ein Suchtnotruf – als telefonische Hotline – steht an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr als erste Anlaufstelle bei Fragen und Krisen zum Thema Sucht zur Verfügung.
Seit 1992 bieten wir ambulante medizinische Rehabilitation und Nachsorge für Alkohol- und Medikamentenabhängige und pathologische Glücksspieler an. In Kooperation mit dem Düsseldorfer Drogenhilfe e. V. besteht diese Möglichkeit auch für Abhängige von illegalen Drogen. Im Jahr 2000 gründeten wir unsere Tagesklinik mit 18 Behandlungsplätzen zur ganztägig ambulanten Rehabilitation von Alkohol- und Medikamentenabhängigen. Das komplette Beratungs- und Behandlungsangebot wird zurzeit von insgesamt 27 Mitarbeitenden aufrechterhalten.
Zum ambulanten Suchthilfeangebot des Trägers gehört auch das Ambulant Betreute Wohnen für Menschen mit einer Suchterkrankung. Seit Ende der 1980er Jahre erhalten Menschen aufsuchende Hilfen in eigenen Wohnungen und Wohngemeinschaften. Mit der Fachklinik Haus Siloah besteht ein Kooperationsvertrag, über den ärztliche Leistungen zur Verfügung gestellt werden und eine enge inhaltliche Kooperation sichergestellt ist. Es gäbe vieles zu den einzelnen Bereichen zu sagen, doch ich möchte mich im Folgenden auf die drei Beratung, Prävention und Nachsorge beschränken.
Suchtberatung
Das „Herzstück“ der Einrichtung, sicherlich auch der größte Tätigkeitsbereich, ist die ambulante Suchtberatung. Im besten Falle stehen hier Zeit, Raum und BeraterInnen bereit, um den schwierigen und höchst persönlichen Weg der Auseinandersetzung mit der eigenen Suchterkrankung oder der eines Angehörigen zu gehen. Allerdings handelt es sich hierbei auch schon um die größte „Grauzone“ im ambulanten Suchthilfebereich. Welche Leistungen der Begriff Suchtberatung beinhaltet, ist gesetzlich nicht definiert. Ebenso gibt es keine leistungsrechtliche Einordnung der Suchtberatung. So stellt sie eine freiwillige Leistung der Kommunen dar und unterscheidet sich in Standards, Beratungsdauer und Personaleinsatz von Träger zu Träger, Kommune zu Kommune, Bundesland zu Bundesland. Wie soll man beschreiben, was dort alles passiert?
Ein paar Zahlen aus dem Jahr 2013 veranschaulichen die Aktivitäten: 1.450 Klienten suchten uns auf, darunter waren fast zehn Prozent Angehörige. 40 Prozent der Klienten suchten erstmalig Hilfe wegen ihres Suchtproblems oder des eines Angehörigen. Das heißt, dass 60 Prozent „Wiederkehrer“ waren, die schon irgendeine Maßnahme absolviert hatten. Viele davon auch bei uns. Für mich bedeutet das, dass wir den Menschen immer so begegnen müssen, dass ihnen ein Wiederkehren möglich ist. Ich habe in den Jahren viele Menschen kennengelernt, die eine erste Suchtberatung abgebrochen haben, einfach, weil sie noch nicht an dem Punkt zur Veränderung angelangt waren. Wenn sie Monate oder Jahre später wiederkommen (können) ohne Scham, dann haben wir gute Arbeit geleistet.
Im Rahmen der Suchtberatung vermitteln wir in weitergehende Hilfen, Entgiftungen, ambulante oder stationäre Wohnhilfen oder eben auch in Rehabilitationen. Von den Mitarbeitenden wird eine ausgeprägte Kenntnis des Hilfesystems und der leistungsrechtlichen Voraussetzungen erwartet. Gleichzeitig müssen sie in der Lage sein, zusammen mit den Klienten Perspektiven zu erarbeiten, die annehmbar sind. In der Motivations- und Orientierungsphase der Suchtberatung geht es um Abstinenzentscheidung, Krankheitseinsicht und weitergehende Hilfen. Hier werden unterschiedlichste Gruppenangebote, die von hauptamtlichen Mitarbeitern und abstinent lebenden ehemaligen Klienten geleitet werden, angeboten. Die breite Vielfalt der Bevölkerungsschichten bildet sich auch in unserem Hause ab, das ist manchmal eine Herausforderung – häufiger aber eine gegenseitige Bereicherung.
Suchtberatung ist abwechslungsreich, anspruchsvoll und wegweisend. Die Abstinenz ist nicht die Voraussetzung für unser Angebot, sondern im besten Falle das Ziel. Für mich ist die Suchtberatung die Seele und Schaltzentrale der Einrichtung. Hier bekommen wir Veränderungen, Trends und Entwicklungen mit. In der Suchtberatung finden sehr individuelle Prozesse statt. Wie viel Zeit jemand braucht, um sein Suchtverhalten für sich zu klären und eine tragfähige Entscheidung zur weiteren Behandlung zu treffen, kann sehr unterschiedlich sein und ist nicht von vorneherein auf eine geringe Anzahl an Terminen begrenzbar.
Die Suchtberatung ist aber regional sehr unterschiedlich aufgestellt, da es eben keine regionen- oder sogar länderübergreifende Regelung gibt. Das heißt, wie viel Suchtberatung eine Stadt sich leisten kann, wie viel Zeit für den Prozess zur Verfügung gestellt wird, hängt auch sehr von der jeweiligen Kommune ab. Deshalb sehen wir in der Praxis unserer ganztägig ambulanten Rehabilitationseinrichtung sowohl Menschen, die vor ihrer Entwöhnungsbehandlung nur zwei bis drei ausschließlich auf Antragsstellung ausgerichtete Gespräche absolviert haben, als auch Klienten, die bereits in einen ersten intensiven Auseinandersetzungsprozess mit ihrer Erkrankung eingetreten sind. In der Regel werden Letztere das angebotene Reha-Programm besser nutzen können. Hier bedarf es aus meiner Sicht verbindlicherer Standards und überregionaler, gesetzlich geregelter Finanzierungsmodelle.
Prävention
In diesem Bereich haben wir unsere Angebote zusätzlich zur universellen Prävention (früher Primärprävention) zunehmend differenziert und ergänzt. Ein Gebiet, auf dem wir zusätzliche Erträge erwirtschaften und gleichzeitig frühzeitige Hilfen anbieten können, ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement. Im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements beraten wir Firmen im Umgang mit suchtmittelauffälligen Mitarbeitern und schulen Vorgesetze in der Anwendung von Dienstvereinbarungen, die wir auch mit dem jeweiligen Unternehmen erarbeiten.
„Komasaufen“ und „jugendliches Rauschtrinken“ sind weitere nennenswerte Phänomene, auf die wir in unserer Arbeit reagiert haben. So bieten wir mit „ALFred“ – in Anlehnung an das bekannte Fred-Programm – eine Frühintervention für unter Alkohol straffällig gewordene Jugendliche an. Dabei arbeiten wir eng mit der Jugendgerichtshilfe zusammen. „Standfest – dein Wille gegen Promille“ ist ein aufsuchendes Suchtpräventionsprojekt. Hier ist eine hauptamtliche Mitarbeiterin mit geschulten Peers, also Gleichaltrigen, unterwegs, um an Standorten, an denen sich Jugendliche in Düsseldorf aufhalten, über Alkohol & Co. ohne erhobenen Zeigefinger aufzuklären. Als neueste Entwicklung gibt es eine Standfest-App, die die wichtigsten Informationen für Jugendliche enthält. Ermöglicht wurde das Projekt durch Spenden. Das ist immer positiv zu bewerten. Für uns ist es aber immer auch ein Ziel, die Finanzierung solcher Projekte eigenständig sichern zu können.
Diese speziellen Angebote sind zu dem bestehenden Angebot in der Suchtprävention sicherlich gute und sinnvolle Ergänzungen. Allerdings dürfen sie nicht zu Lasten der universellen Prävention in Kindergärten, Schulen oder Jugendfreizeiteinrichtungen gehen. Die Effekte von Präventionsarbeit sind nicht immer direkt mess- oder evaluierbar, es entstehen eher nachhaltige, persönlichkeitsstärkende Effekte. In fachlicher und finanzieller Sicht geraten wir hiermit aus meiner Sicht aber immer stärker unter Druck: Maßnahmen der Suchtprävention werden immer häufiger „als Feuerwehr angefragt“, um auf ordnungs- und gesellschaftspolitische Phänomene zu reagieren, wie z. B. in den letzten Jahren auf die vermehrten Anfragen zu Crystal Meth, Computerspiel- und Onlinesucht, Legal Highs etc. Eine auf Nachhaltigkeit angelegte Suchtprävention setzt aber viel früher und substanzungebunden an.
Nachsorge
Für viele Suchtkranke ist die ambulante Suchthilfe nicht nur Anlaufstelle zu Beginn ihrer Auseinandersetzung mit der Suchterkrankung, sondern auch im Anschluss an eine erfolgte Reha-Maßnahme. Das Stabilisieren und Sichern von Behandlungserfolgen und Abstinenz, die Wiedereingliederung in Arbeit und das Ermöglichen von Teilhabe stellen für uns zurzeit die größte Herausforderung dar. Nach abgeschlossenen ganztägig ambulanten oder stationären Rehabilitationsmaßnahmen bieten wir Nachsorge oder für Versicherte der DRV Rheinland als regionalem Leistungsträger ARS nachstationär an. Mit den Ergebnissen in diesem Bereich sind wir unzufrieden, und als Einrichtung treibt uns das um. Zahlen aus 2013 sollen dies verdeutlichen: Im Jahr 2013 lagen uns insgesamt 120 Bewilligungen für Nachsorge oder ARS nachstationär durch die Leistungsträger vor. 36 Prozent – also 44 Personen – haben die Behandlung regulär und erfolgreich beendet, bei ca. 30 Prozent wurde die Maßnahme durch uns oder die Klienten frühzeitig beendet. Und knapp 34 Prozent – also 41 Personen – traten die Maßnahme gar nicht erst an!
Die hohe Nichtantrittsquote ist umso erstaunlicher, als wir – und ich denke die gesamte ambulante Suchthilfe – in den vergangenen Jahren unsere Struktur viel „zugehender“ organisiert haben. Wenn eine Leistungszusage für einen Versicherten vorliegt, der noch keinen Kontakt mit uns hatte, versuchen wir Kontakt herzustellen. Wir beobachten auch eine Veränderung in der Zuweisung. Während es vor ca. 15 Jahren üblich wahr, dass Versicherte bereits während ihrer stationären Reha Kontakt zur Nachsorgeeinrichtung aufnahmen und Termine vereinbarten, ist das heute die Ausnahme. Somit scheint es dringend notwendig, die Schnittstellen zu den stationären Einrichtungen zu verbessern und zu pflegen.
Den Bereich der Nachsorge bzw. der ARS nachstationär erlebe ich als eine sehr anspruchsvolle, zeitintensive und fordernde Arbeit. Die Themen und Anliegen der Menschen, die zu uns kommen, sind vielfältig, komplex und schwierig. Kürzere Rehabilitationszeiten und komorbide Krankheitsbilder tragen dazu bei. Die erste Zeit nach einer Suchtrehabilitation, wenn der Abhängigkeitskranke wieder in seinem vertrauten Umfeld lebt, ist oft entscheidend für eine längerfristige Abstinenz oder eine erneute (andauernde) Rückfälligkeit.
Seit März 2013 ist das neue von DRV Bund und GKV erarbeitete Nachsorgekonzept in Kraft. Die beschriebenen Inhalte sind durchaus richtig und wichtig, jedoch wurden die qualitativen und quantitativen Standards erheblich abgesenkt. Aus meiner Sicht zeigt sich im Alltag der Einrichtungen etwas anderes. Wie erwähnt kommen viele Patienten in der Praxis gar nicht erst in unserer Einrichtung an, wir erleben häufige Rückfälle direkt nach Beendigung der Rehabilitation. Es scheint, als wäre Abstinenz in dem strukturierten Setting der stationären Einrichtung oder der Tagesklinik möglich, aber mit unserem inhaltlichen und strukturellen Angebot im Rahmen der Nachsorge erreichen wir eine Gruppe von Patienten nicht oder nicht ausreichend. Die Zahl derer, die mit multiplen Problemlagen zu uns kommen, ist groß. Ihnen werden wir mit dem neuen Nachsorgekonzept nicht gerecht. Daneben sind die beiden Tatsachen, dass in diesem Bereich von den Mitarbeitern keine speziellen suchttherapeutischen Qualifikationen mehr gefordert werden und das Leistungsentgelt abgesenkt wurde (für unsere Region fast um 25 Prozent innerhalb von vier Jahren), nicht nachvollziehbar und aus meiner Sicht ein falscher Weg.
Mitarbeiterstruktur
Wenn man über die Gegenwart und Zukunft der ambulanten Suchthilfe spricht, kann man den drohenden Fachkräftemangel nicht unerwähnt lassen. Ich befürchte, dass dies eine der wesentlichen Fragestellungen unserer Einrichtung in den kommenden Jahren wird. Mit 40 Jahren bin ich in meiner Einrichtung die Drittjüngste! Ein Blick auf unsere Altersstruktur zeigt, dass fast 50 Prozent der Mitarbeitenden in den kommenden zehn Jahren die Altersgrenze erreicht haben werden. Neben den Chancen, die mit Mitarbeiterwechseln verbunden sind, steht uns der massive gleichzeitige Verlust von Fachkompetenz bevor.
Finanzierung
Das Suchthilfesystem wird durch unterschiedliche Leistungsträger finanziert und ist in verschiedenen Sozialgesetzbüchern versorgungsrechtlich geregelt. Zum Teil werden große Teile der ambulanten Hilfen auf freiwilliger Basis finanziert (Öffentlicher Gesundheitsdienst ÖGD). Das Suchtberatungs- und Therapiezentrum erbringt Leistungen nach dem SGB II, V, VI, VIII, IX und XII. Es rechnet seine Leistungen mit der Stadt Düsseldorf, mit Renten- und Krankenversicherungen, Unternehmen, Spenden- und Stiftungsgebern ab. Und ist dies auskömmlich?
Leider nein. Und das ist höchst bedauerlich. In all den Jahren habe ich das Gefühl, dass wir uns auf immer neue Gegebenheiten einlassen, neue Arbeitsfelder anbieten, Ideen entwickeln, anders verwalten – wirklich eine breite Palette an Hilfen und Dienstleistungen anbieten – und unterm Strich rechnet es sich nicht. Der größte Zuschussgeber unserer Arbeit ist die Stadt Düsseldorf, mit der es einen Rahmenvertrag gibt. Darin sind Aufgabenfelder und Kennzahlen festgelegt, die in den Bereichen Prävention, Beratung etc. zu erbringen sind. Die Verträge haben i. d. R. eine Laufzeit von drei bis fünf Jahren und geben damit schon eine relative Planungssicherheit. Die Zuschüsse stiegen in den letzten 15 Jahren jährlich um 1,38 Prozent. Seit 01.01.2014 ist eine Steigerungsrate von zwei Prozent mit der Stadt Düsseldorf vereinbart. Das ist mehr als viele anderen Kommunen anbieten, aber es deckt nicht die jährlichen Steigerungen im Personal- und Sachkostenbereich. Die Schere geht in den letzten Jahren immer weiter auseinander. Daneben erhalten wir kleinere Beträge aus Landesmitteln, Einnahmen aus unserem café drrüsch und aus dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement.
Die Vergütungssätze der ambulanten Rehabilitation sind in den letzten 15 Jahren ebenfalls nur marginal angestiegen. Manche Träger sind bereits aus der ARS ausgestiegen, da sie sie sich nicht mehr leisten konnten. Die Tagesklinik ist sicherlich ein Sonderfall und teilt das Schicksal vieler Tageskliniken, die immer wieder unter gravierenden Sorgen leiden. Seit ihrem Bestehen begleiten uns sehr schwankende Belegungszahlen, die gerade in so kleinen Einrichtungen immer wieder existenzbedrohende Züge annehmen. Bei der letzten Visitation sagte eine Vertreterin des Leistungsträgers: „Seien Sie froh, dass wir schon so lange durchhalten.“ Ich bin es auch, aber durchhalten konnten wir nur, weil wir einen Träger im Rücken haben, der uns durch manch schlechtes Jahr „getragen“ hat.
Projekte und innovative Ansätze können wir dank Stiftungs- oder Spendengeldern umsetzen. Dies ist erfreulich, aber so ist es auch immer wieder unsicher, ob und wie solche Arbeit fortgesetzt werden kann. Ein aktuelles Beispiel hierfür stellt die Arbeit im Bereich Computerspiel- und Onlinesucht dar. Wie viele andere Träger auch konnten wir in den letzten Jahren ein Angebot aus Drittmitteln aufbauen. Nun ist das Angebot bekannt und wird rege in Anspruch genommen – und die Frage der weiteren Finanzierung ist offen. Einige Träger haben ihre Angebote für diese Zielgruppe in den letzten Monaten bereits eingestellt.
Um kostendeckend zu arbeiten, die so genannte „schwarze Null“ zu sehen, sind wir auf Eigenmittel der Diakonie angewiesen. Personal, Sach- und Overheadkosten werden durch Zuschüsse, Erträge und Erlöse nicht gedeckt. Rückläufige Kirchensteuereinnahmen und in allen Bereichen ansteigende Kosten sorgen dafür, dass die kirchlichen Träger immer weniger bereit sind, diese Einnahmen in Angebote der Suchthilfe zu investieren, oder es schlichtweg nicht mehr können. Unsere Kostenstruktur lässt kaum Einsparpotentiale zu, der Großteil liegt in den Personalausgaben. Rücklagen für Investitionen oder Innovationen sind kaum möglich und bilden ein weiteres Zukunftsrisiko.
Die Arbeit in der ambulanten Suchthilfe ist für mich eine Herzensangelegenheit. Hier wird wichtige und engagierte Arbeit geleistet, die für ein gut ausgebautes Suchthilfesystem in Deutschland unabdingbar ist. Wir haben es mit vielen Menschen zu tun, die niemals oder erst nach vielen Anläufen in den stationären Angeboten ankommen. Ihnen ein Unterstützungssystem anzubieten, welches passgenaue Hilfen zur Verfügung stellt, muss – trotz aller finanziellen Probleme – weiterhin unser Ziel und Ansporn sein.
Blick in die Zukunft
Ambulante Suchthilfe hat sich professionalisiert und spezialisiert. Angebote für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen gehören ebenso dazu wie Handlungssicherheit bei Fragen zu Kindeswohlgefährdungen. Dabei wird ein kultursensibles und gendergerechtes Vorgehen in allen Bereichen der Beratung und Prävention erwartet. Mannigfaltige Aufgabengebiete und Arbeitsfelder werden benannt. Wir wollen passgenaue Hilfen für die Betroffenen anbieten. Aber wir müssen auch vorsichtig sein, uns nicht immer weiter auszudifferenzieren. Grenzen sind in der Sucht ein Thema, m. E. gilt das auch für unsere Organisationsstrukturen.
Im Bereich der medizinischen Reha müssen wir unsere Angebote an arbeitsbezogenen Leistungen besser aufstellen und attraktiver machen. Arbeit und Tagesstruktur sind wichtige Bestandteile von Teilhabe und im Rahmen der Abstinenzsicherung nach einer Behandlung von immenser Bedeutung. Bei der Orientierung am Teilhabebegriff und an den Sprach- und Denkmustern der ICF müssen unsere ambulanten Angebote in den nächsten Jahren noch „aufholen“. Wir brauchen Angebote, die die Nachhaltigkeit von Rehabilitation für Menschen mit multiplen Problemlagen besser sichern. Der Spagat zwischen einer dienstleistungs- bzw. kundenorientierten Suchtberatung und -behandlung auf der einen Seite bei gleichzeitigem klaren Behandlungsprofil und klaren Grenzen auf der anderen fordert uns täglich heraus und ist sicherlich noch zu verbessern. Wir müssen suchtkranke Menschen früher erreichen und brauchen gute und funktionierende Kooperationen z. B. mit Hausärzten.
„Finanzierung steuert Prozesse“ – und damit die Antwort auf die Frage, wie viel und welche Qualität in der Betreuung suchtkranker Menschen wir uns leisten können. In der ambulanten medizinischen Rehabilitation benötigen wir ein kostendeckendes Entgelt, ansonsten wird es in der ambulanten Versorgung zunehmend weiße Flecken auf der Landkarte geben. Für den Bereich der Nachsorge benötigen wir Angebote, die den Menschen und ihren Bedarfen gerecht werden. Und nicht zuletzt müssen wir auch zukünftig ausreichend qualifizierte Fachkräfte finden, die sich vorstellen können, in der Suchthilfe ihre berufliche Heimat zu finden. Als Lehrbeauftragte arbeite ich in einem Bachelorstudiengang Soziale Arbeit mit. Ich bin immer wieder erstaunt, als wie wenig attraktiv die Suchthilfe durch die Studierenden wahrgenommen wird. Das war zu meiner Studienzeit anders.
Schließen möchte ich mit der Antwort auf die Frage, warum eine gut aufgestellte ambulante Suchthilfe für die Reha-Kliniken wichtig ist: Weil wir uns als DIE Vermittler in Rehabilitationen verstehen, die für eine gute Belegung der Kliniken unabdingbar sind. Weil wir regionale Vernetzungsstrukturen und Versorgung vor Ort anbieten. Weil wir mit einer guten Weiter- und Nachbehandlung stationäre Katamneseerfolge sichern, und weil wir frühzeitig die Möglichkeit haben, Trends und Entwicklungen zu sehen.
Kontakt:
Anja Vennedey
Sachgebietsleiterin
Suchtberatungs- und Therapiezentrum
Fachambulanz und Tagesklinik
Langerstraße 2
40233 Düsseldorf
anja.vennedey@diakonie-duesseldorf.de
www.diakonie-duesseldorf.de
Angaben zur Autorin:
Anja Vennedey ist Dipl.-Sozialpädagogin, Sozialmanagerin M.A., Sucht-/Sozialtherapeutin und Supervisorin (DGSv). Bei der Diakonie Düsseldorf leitet sie das Suchtberatungs- und Therapiezentrum, bestehend aus Fachambulanz und Tagesklinik.