„Ich konnte diesen Zustand so nicht mehr aushalten“ - suiziale Krisen bewältigen
Anlässlich des Weltsuizidpräventionstages am 10. September macht die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention darauf aufmerksam, dass in Deutschland aktuell täglich knapp 28 Menschen einen Suizid und schätzungsweise 500 Personen einen Suizidversuch begehen. Eine der wichtigsten Maßnahmen, um Suizide zu verhindern, ist die konsequente Behandlung der zumeist zugrundeliegenden psychischen Erkrankung. Auch ein wachsames Umfeld, welches bei akuter Gefahr Hilfe organisiert, und konkrete Aufklärungsangebote in den Regionen sind wichtige Bausteine der Suizidprävention.
Mehrheit der Suizide erfolgt im Kontext psychischer Erkrankungen
Lebensmüde Gedanken kommen im Rahmen von Lebenskrisen auch in der gesunden Bevölkerung vor. Suizide erfolgen hingegen fast immer vor dem Hintergrund einer nicht optimal behandelten psychischen Erkrankung, am häufigsten einer Depression, aber z. B. auch bei Schizophrenie, Suchterkrankungen oder Borderline Persönlichkeitsstörung.
„Menschen mit Depression haben durch die Erkrankung das Gefühl, dem unerträglichen Zustand nie mehr entkommen zu können. Sie leiden unter quälenden Schuldgefühlen, einer inneren Daueranspannung und Schlaflosigkeit. Die krankheitsbedingte katastrophierende Sicht auf das eigene Leben in Kombination mit dem hohen Leidensdruck und völliger Hoffnungslosigkeit lässt den Betroffenen den Suizid als einzigen Ausweg erscheinen“, erklärt Prof. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention.
Die konsequente und leitlinienkonforme Behandlung der Depression und anderer psychischer Erkrankungen ist zentraler Baustein jeder Suizidprävention. „Jeder Betroffene sollte wissen: Depressionen und auch viele andere psychische Erkrankungen lassen sich gut behandeln. Hoffnung, Lebensmut und Lebensfreude kehren dann zurück, selbst wenn die äußeren Belastungen unverändert sind“, betont Hegerl.
Hilfe bei Suizidgefahr: Hinweise für Betroffene und Angehörige
Angehörige sollten Suizidankündigungen immer ernst nehmen. Äußerungen wie: „Es hat alles gar keinen Sinn mehr …“ sind bei depressiven Menschen Hinweise auf eine ernste Gefährdung. Freunde oder Familienangehörige sollten keine Scheu haben, genauer nachzufragen. Oft ist es für einen suizidgefährdeten Menschen eine Entlastung, mit einer anderen Person über die quälenden Gedanken sprechen zu können.
„Das Wichtigste bei akuter Suizidalität ist, sich anderen Menschen anzuvertrauen und sich Hilfe beim Psychiater, Psychologischen Psychotherapeuten oder auch beim Hausarzt zu holen“, sagt Hegerl. Hier können Angehörige eine wichtige Rolle spielen, indem sie den suizidgefährdeten Menschen auf dem Weg zur professionellen Hilfe unterstützen und begleiten. Besteht eine akute Lebensgefahr, dann sollten Betroffene umgehend die nächste psychiatrische Klinik aufsuchen oder den Notarzt unter 112 rufen. Auch Krisendienste bieten in vielen Regionen eine schnelle Unterstützung.
Erfahrungen eines Betroffenen: „Ich hatte das Gefühl, so geht es nicht mehr“
Diese ausweglos erscheinende Situation kennt auch Reiner (69 Jahre) aus der Nähe von Siegen. Zwei Mal erkrankte der Polizeibeamte an einer schweren Depression und erlebte auch quälende Suizidgedanken. „Ich konnte nicht mehr schlafen und habe eine große Unruhe verspürt. Ich konnte nicht mehr denken, nicht mal an meine Familie. Ich hatte das Gefühl, so geht es nicht mehr. Ich konnte diesen Zustand so nicht mehr aushalten“, beschreibt Reiner die Situation. Seine Frau bringt ihn in die Klinik, wo sich sein Zustand mit Medikamenten und unterstützenden Angeboten wie Sport bessert. Seit seiner Pensionierung setzt er sich ehrenamtlich für mehr Aufklärung über Depression und Suizidgedanken ein. So engagiert er sich u. a. ehrenamtlich im Bündnis gegen Depression in Olpe-Siegen-Wittgenstein, einem der 90 regionalen Bündnisse gegen Depression in ganz Deutschland im Netzwerk der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Dort gestaltet Reiner Veranstaltungen oder Infomaterial zum Thema mit.
Aufklärung in 90 Regionen bundesweit
Die regionalen Bündnisse gegen Depression verbinden zwei Ziele: die bessere Versorgung von Menschen mit Depression und die Prävention von Suiziden sowie Suizidversuchen. In einer Stadt oder Gemeinde werden dafür gleichzeitig Interventionen auf vier Ebenen gestartet:
- Kooperation mit Hausärzten (u. a. Schulungen)
- Öffentlichkeitsarbeit (z. B. Plakatkampagne, öffentliche Veranstaltungen)
- Schulungen von Multiplikatoren (z. B. Pfarrer, Lehrkräfte, Medienredaktionen, Altenpflegekräfte, Polizei)
- Unterstützung für Betroffene und deren Angehörige, u. a. durch Informationsmaterialien, die Förderung der Selbsthilfe und das digitale Selbstmanagement-Programm iFightDepression (tool.ifightdepression.com/).
Dieser 4-Ebenen-Interventionsansatz der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention ist eines der am häufigsten implementierten Suizidpräventionsprogramme. Eine systematische Überblicksarbeit kommt zudem zu dem Schluss, dass der 4-Ebenen-Ansatz weltweit der vielversprechendste von allen untersuchten gemeindebasierten Suizidpräventionsansätzen ist (Linskens et al. 2022).
Anlaufstellen bei Suizidgedanken:
- Erster Ansprechpartner bei Verdacht auf eine Depression oder Suizidgedanken ist der Hausarzt, Psychiater oder psychologischer Psychotherapeut
- In akuten Krisen: Wenn Sie sich in einer akuten Krise befinden, wenden Sie sich bitte an Ihren behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten, die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter 112.
- Rund um die Uhr erreichen Sie die Telefonseelsorge kostenfrei unter 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222.
- Unterstützung bietet auch der Krisendienst in der jeweiligen Region.
- HIlfe speziell für Männer https://www.maenner-staerken.de/
- In besonders kritischen Situationen fällt es oft schwer, klar zu denken. In solchen Situationen kann ein Krisenplan helfen. Kostenfrei finden Sie diesen zum Download unter www.deutsche-depressionshilfe.de/krisenplan
Pressestelle der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, 6.9.2024