Aktueller Jahresbericht der BAG W veröffentlicht
Im Rahmen des diesjährigen „Tags der wohnungslosen Menschen“ veröffentlicht die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) ihren aktuellen Jahresbericht zur Lebenslage wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen. In der Auswertung des Jahres 2022 stand insbesondere die Situation junger Menschen im Mittelpunkt.
Zentrale Aussagen des Berichts
Aus dem Bericht geht hervor, dass 71 Prozent der Menschen, die in freiverbandlichen Einrichtungen und Diensten Hilfe suchen, akut wohnungslos sind. Elf Prozent sind unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht, und knapp vier Prozent leben in unzumutbaren Wohnverhältnissen. Rund ein Drittel der Klient:innen ist weiblich, zwei Drittel sind männlich.
Im Vorjahr erreichte der Anteil der Hilfesuchenden in Haushalten mit Kindern – gleichmäßig verteilt auf Paare mit Kindern und alleinerziehende Haushalte – mit etwa elf Prozent einen neuen Höchststand. Dieser hat sich im aktuellen Berichtsjahr auf hohem Niveau stabilisiert. Mehr als jede dritte Familie (rund 39 Prozent), die eine Hilfseinrichtung aufsuchte, konnte bei Hilfebeginn keine eigene Wohnung vorweisen.
Auch im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit der Klient:innen ist eine Stabilisierung festzustellen: Die Zahl der Personen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit schwankt seit 2018 auf gleichbleibendem Niveau zwischen 30 und 34 Prozent (2022: 34 Prozent). Unter den akut wohnungslosen Menschen ist ein Drittel nicht-deutscher Staatsangehörigkeit (32 Prozent).
Risiken und Lebensrealitäten junger Menschen
Die aktuellen Zahlen der BAG W zeigen, wie sehr Wohnungsnot auch junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder trifft. Rund 16 Prozent der Klient:innen, die sich in Wohnungsnotfällen an Einrichtungen und Dienste freier Träger wenden, sind unter 25 Jahre alt. Besorgniserregend ist, dass fast 13 Prozent der akut wohnungslosen jungen Menschen im Alter von 18 bis 25 Jahren die Nacht vor Hilfebeginn auf der Straße verbracht haben. Bei den unter 18-Jährigen sind es sogar 16 Prozent. Unter den jungen Menschen in Wohnungsnot finden sich besonders viele Frauen. Jede vierte wohnungslose Klientin ist jünger als 25 Jahre. Unter den männlichen wohnungslosen Klienten ist jeder sechste unter 25 Jahre alt.
Sarah Lotties, Fachreferentin für Statistik und Dokumentation bei der BAG W: „Jeder zweite wohnungslose junge Mensch kommt bei mehr oder weniger guten Freund:innen oder Bekannten unter. Was zunächst harmlos klingt, ist in der Realität oft geprägt von provisorischen, manchmal sehr kurzfristigen Behelfslösungen und einem Leben in Unsicherheit. Denn woanders unterzukommen, bedeutet auch, tagtäglich auf das Wohlwollen der Gastgeber:innen angewiesen zu sein. Nicht selten ergeben sich daraus gefährliche Abhängigkeitsverhältnisse, beispielsweise wenn die Unterkunft nur im Gegenzug für sexuelle Gefälligkeiten bereitgestellt wird. Die Not dieser wohnungslosen jungen Menschen ist nicht auf den Straßen sichtbar, aber sie ist genauso schwerwiegend.“
Martin Kositza, Fachreferent der BAG W: „Gerade für junge Menschen ist die Situation dramatisch, da sie sich in einer entscheidenden Phase ihrer persönlichen Entwicklung befinden. Ohne stabile Wohnverhältnisse haben sie deutlich schlechtere Chancen auf Bildung, Teilhabe oder beruflichen Erfolg. Das Resultat ist oft Armut und soziale Ausgrenzung.”
Niedrigschwellige und zielgerichtete Maßnahmen
Die BAG W fordert die Entwicklung kommunaler Gesamtkonzepte, um eine klare Zuständigkeits- und Finanzierungstruktur sicherzustellen. Diese Forderung ist besonders wichtig, da die Reform des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) zwar die Ansprüche junger Menschen gestärkt hat, aber weiterhin Herausforderungen bei der Umsetzung bestehen, insbesondere an den Schnittstellen zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe.
Susanne Hahmann, Vorsitzende der BAG W: „Für den Erfolg aller Hilfen sind jugendgerechte sowie leicht zugängliche Beratungsangebote − sowohl digital als auch vor Ort − notwendig. Jungen Menschen kann nur dann langfristig geholfen werden, wenn die Angebote flexibel sind und auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten werden. Aber auch in Bezug auf junge Menschen gilt: Wir brauchen unbedingt mehr bezahlbaren Wohnraum. Ohne diesen werden wir die Wohnungslosigkeit nicht eindämmen können.“
Hintergrund zum Statistikbericht und zur Erhebung
Seit 1990 werden jährlich Daten von Klient:innen aus den freiverbandlichen Diensten und Einrichtungen der Hilfen in Wohnungsnotfällen im BAG W-eigenen Dokumentationssystem zur Wohnungslosigkeit (DzW) analysiert. Die wichtigsten Angaben werden im Statistikbericht der BAG W erörtert, in jedem Jahr gibt es zudem einen Schwerpunktteil, der einen Themenaspekt des Hilfesystem besonders hervorhebt. Im aktuellen Berichtsjahr (2022) wurden Daten von über 38.200 Klient:innen aus 227 Einrichtungen und Diensten der freien Träger ausgewertet.
Der Statistikbericht ist auf der Website der BAG W verfügbar.
Zum Tag der wohnungslosen Menschen
Zum Tag der wohnungslosen Menschen hat die BAG W auch in diesem Jahr zu Aktionen im ganzen Bundesgebiet aufgerufen. Das diesjährige Motto „Gemeinsam mehr erreichen“ soll die Relevanz des gemeinsamen, übergreifenden Handelns betonen. Darüber hinaus findet am Vormittag des 11. September ein parlamentarisches Frühstück im Bundestag statt, in dem aktuelle Fragen zur Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit besprochen werden. Die Schirmherrschaft hierfür tragen die Bundestagsabgeordneten Hanna Steinmüller (Bündnis 90/Die Grünen) und Brian Nickholz (SPD), die die Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der BAG W initiiert haben.
Pressestelle der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, 9.9.2024