Konsum hält an – Klient:innen sind schwer zu erreichen
Das NEWS-Projekt (National Early Warning System) ist ein bundesweites Frühwarnsystem zu gesundheitlich relevanten Entwicklungen im Bereich psychoaktiver Substanzen und Medikamentenmissbrauch, durchgeführt vom IFT Institut für Therapieforschung München. Aktuell hat das NEWS-Projekt ein Update zum im Herbst 2021 durchgeführten „Trendspotter“ (Trendspotter = Online-Befragung von Expert:innen + Informationen aus anderen Quellen) zum Thema Crack veröffentlicht.
Nach Berichten aus der niedrigschwelligen Drogenhilfe ist der Crackkonsum in bestimmten Konsumierendengruppen in den letzten Jahren in einigen Teilen Deutschlands erheblich angestiegen. Aus diesem Grund wurde im Herbst 2021 der erste Trendspotter zu diesem Thema durchgeführt. Hier wurden hauptsächlich qualitative Aussagen von Mitarbeitenden der Suchthilfe und anderen Expert:innen systematisch zusammengefasst und somit eine Momentaufnahme der Entwicklungen bis Ende 2021 vorgelegt. Ein Jahr nach dem ersten Trendspotter hat das NEWS-Projekt im Herbst 2022 eine Nachbefragung zur bundesweiten Cracksituation durchgeführt, die die Datengrundlage für den nun vorliegenden Bericht „Crack – Trendspotter-Update“ bildet. Bei diesem Update liegt der Fokus insbesondere auf den Veränderungen der Situation im Vergleich zu den Entwicklungen, die Ende 2021 erhoben wurden.
Ergebnisse des Trendspotter-Updates
Die folgende Zusammenfassung ist dem „Crack – Trendspotter-Update“ entnommen (S. 10 f.):
Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich die im ersten Trendspotter-Bericht beschriebenen Entwicklungen im Jahr 2022 größtenteils fortgesetzt haben. Nach wie vor wird der Konsum, sogar weiterhin gestiegener Konsum, insbesondere für größere Städte der westlich gelegenen Bundesländer und Berlin, berichtet. Für Schleswig-Holstein (Anstieg im ersten Trendspotter) fehlen für das Update Daten, daher ist hierzu keine Aussage möglich. Aus Hamburg wurde zumindest kein weiterer Anstieg angegeben. Für Baden-Württemberg und Bayern wurde, anders als im Trendspotter 2021, für das Jahr 2022 ein leichter Anstieg berichtet. Aus östlich gelegenen Bundesländern wird nach wie vor kein Anstieg des Crackkonsums angegeben.
Die Konsumierendengruppe ist der offenen Drogenszene zuzuordnen, eine Ausdehnung auf andere Drogengebrauchende wird aktuell nicht berichtet. Bisher scheint diese Gruppe von Konsumierenden kaum in weiterführende Hilfen überführt zu werden; jedenfalls werden die Anstiege fast ausschließlich von Mitarbeitenden der niedrigschwelligen Hilfen berichtet. Mitarbeitende aus der „klassischen“ Drogenhilfe, also aus Beratungsstellen oder ambulanten Rehabilitationseinrichtungen, berichten kaum Anstiege. Dies passt zu der Aussage von Helfenden aus niedrigschwelligen Einrichtungen, dass Crackkonsumierende aufgrund des extrem ausgeprägten Cravings und damit einhergehenden hohen Beschaffungsdrucks selbst für niedrigschwellige Angebote nur schwer erreichbar seien.
Auch die in der Nachbefragung angeführten Gründe für den fortdauernden Anstieg im Crackkonsum ähneln jenen aus dem Trendspotter. Als wichtigster Punkt erscheint die Marktlage mit der sehr hohen Verfügbarkeit von, je nach Region, bereits zubereitetem Crack und/oder Kokainpulver zu einem günstigen Preis.
Der Konsum geht schließlich auch mit entsprechenden Risikoverhaltensweisen sowie Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit einher, wobei es auch hier weite Überschneidungen zwischen den im Trendspotter dargestellten und den hier beschriebenen gibt: Allen voran der hohe Sucht- und Beschaffungsdruck und die zügig voranschreitende Verschlechterung des Allgemeinzustands. Diese Verschlechterungen sind ein Jahr später logischerweise weiter fortgeschritten. Dabei fällt auf, dass bisher kein Anstieg Crack-bedingter Todesfälle von den Expert:innen vor Ort beschrieben wird. Die bundesweite Statistik enthält eine Sammelkategorie für Kokain und Crack, so dass sie für Aussagen zu dieser Thematik nicht geeignet ist. Es erscheint logisch, dass der sehr reduzierte Gesamtzustand der Konsumierenden mittelfristig zu mehr Krankenhauseinweisungen und mittel- bis langfristig zu Todesfällen führen kann. Da es sich allerdings um eine Klientel zu handeln scheint, die zuvor in vielen Fällen bereits „harte“ Drogen, u .a. Opioide, konsumiert hat, ist fraglich, inwiefern sich die Mortalität erhöht. Solche Fragen lassen sich mit einer qualitativen Erhebung nicht beantworten.
Die erhöhte Reizbarkeit der Konsumierenden sowie ihre schlechte Erreichbarkeit erschweren den Arbeitsalltag in der niedrigschwelligen Drogenhilfe. Darüber hinaus verlagere sich der Konsum teilweise in die Öffentlichkeit, was zumindest auch am Teilen von Pfeifen liege; eine Verhaltensweise, die in Konsumräumen nicht erlaubt ist. Hinzu kommen unzureichende finanzielle wie fachliche Rahmenbedingungen. Den Expert:innen zufolge mangele es beispielsweise nach wie vor an fachlich-methodischen Entwicklungen, Budgeterhöhungen und, trotz festgestellter Bedarfe, Notschlafstellen bzw. spezifischen Hilfsangeboten. So fehlen in bestimmten Regionen beispielsweise noch immer Rauchräume.
Die Aussagen in diesem Update erinnern, wie im ersten Trendspotter, an die Entwicklungen aus den Bundesländern, die in den 2010er Jahren die auch medial viel berichtete „Crystal-Meth-Welle“ zu verzeichnen hatten. Dies sind umgekehrt diejenigen Länder, die bisher keinen oder nur einen geringen Anstieg des Crackkonsums berichten. Aus den dortigen Reaktionen ließen sich möglicherweise zumindest manche Prinzipien für die Arbeit mit höchst agitierten, teils aggressiven Klient:innen adaptieren. Abschließend sei auch nochmals auf die von akzept e. V. – Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik kürzlich herausgegebenen Handlungsempfehlungen verwiesen, die Praktiker:innen eine wertvolle Orientierung bieten können.
Quelle:
Regina Kühnl, Dr. Heiko Bergmann, Franziska Mathäus, Magdalena Janz & Esther Neumeier (2023). Crack – Trendspotter-Update. München: IFT Institut für Therapieforschung
Redaktion KONTUREN, 17.2.2023