Online-Beratung bei Internetnutzungsstörung

Vom 1. November 2019 bis 31. Oktober 2022 förderte der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Deutschland das Projekt „Onlinebasiertes Motivationsprogramm zur Reduktion des problematischen Medienkonsums und Förderung der Behandlungsmotivation bei Menschen mit Computerspielabhängigkeit und Internetsucht“ (OMPRIS). Die Ergebnisse waren positiv, sodass der Innovationsausschuss am 16. August 2024 den Beschluss gefasst hat, die im Projekt erzielten Erkenntnisse an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und verschiedene Fachverbände weiterzuleiten mit der Bitte um Prüfung einer möglichen Verwertung im Rahmen niedrigschwelliger Beratungsangebote.

Zusammenfassung im Ergebnisbericht:

Zielsetzung: Mit OMPRIS wurde erstmals eine innovative und kompakte, onlinebasierte Kurzzeit-Intervention entwickelt, die zur Reduktion des problematischen Medienkonsums und Förderung der Behandlungsmotivation bei Menschen mit Computerspielabhängigkeit und Internetsucht führen soll. Betroffene wurden also dort therapeutisch abgeholt, wo sie „süchtig“ waren – im Internet. Im Rahmen dieser Versorgungsforschungsstudie wurden die Annahme der Versorgungsform, die Effektivität der Intervention sowie die gesundheits-ökonomischen Faktoren methodisch hochwertig untersucht.

Methodik: Kern der OMPRIS Versorgung bildete eine 4-wöchige telemedizinische Intervention mit bis zu zwei webcambasierten psychotherapeutischen Sitzungen pro Woche im 1:1 Setting zwischen Betroffenen mit INS [Internetnutzungsstörung] und Therapierenden sowie einer webcambasierten Sozialberatung. Die Wirksamkeit von OMPRIS wurde im Zuge einer qualitativ hochwertigen randomisierten, kontrollierten, prospektiven Studie (RCT) im Wartegruppendesign untersucht. In der Analyse wurde zudem für mögliche Störfaktoren (Schwere der Störung, psychische Komorbidität, Art der Internetstörung) kontrolliert.

Primärer Outcome der OMPRIS-Studie war die Reduktion der Suchtsymptomatik gemessen mit der Skala zum Onlinesuchtverhalten bei Erwachsenen. Sekundäre Outcomes waren die Reduktion von psychischen Belastungen (Depressivität und Ängstlichkeit), die Steigerung der Veränderungsmotivation bzgl. der Mediennutzung und der Lebensqualität/-zufriedenheit sowie des globalen Funktionsniveaus. Explorativ sollte zudem untersucht werden, ob es prädiktive Faktoren gibt, die einen Erfolg der Intervention voraussagen.

Ergebnisse: Insgesamt füllten vom 16. August 2020 bis zum 11. März 2022 3.007 Menschen einen standardisierten Screeningfragebogen zur Internetnutzung über die Projektplattform aus. Von diesen wurden insgesamt 180 Betroffene entweder in die Interventionsgruppe (n=89) oder die Wartegruppe (n=91) randomisiert. Damit konnten die notwendigen Rekrutierungszahlen übertroffen werden. Die abschließenden Analysen nach Abschluss der Studienrekrutierung zeigten eine statistische und klinische relevante Wirksamkeit der telemedizinischen OMPRIS Intervention. Betroffene mit INS zeigten im Vergleich zur Kontrollgruppe eine signifikante Reduktion der Suchtsymptomatik, Mediennutzungszeiten, Depressivität und Ängstlichkeit sowie eine Steigerung der Veränderungsmotivation und Lebenszufriedenheit. Zudem konnten die gefundenen therapeutischen Effekte auch sechs Wochen und sechs Monate später noch gleichbleibend nachgewiesen werden, sodass von einem klinisch wirksamen Effekt auszugehen ist.

Die therapeutische Effektstärke der Kurzzeitintervention bzgl. der Suchtsymptomreduktion lag mit d = 0.92 in einem relevanten Wirkungsbereich und ist damit mit vielen anderen analogen psychotherapeutischen Effektstärken vergleichbar. Zudem zeigte die Intervention eine erfreulich geringe Abbruchquote (9 %) und eine hohe Zufriedenheit bei den Betroffenen, was die exzellente Akzeptanz auf Seiten der Betroffenen belegt.

Diskussion: Zusammenfassend belegt die OMPRIS Studie erstmals, dass die Behandlung von Betroffenen mit INS mittels einer telemedizinischen, webcambasierten Intervention wirksam ist und von den Betroffenen angenommen wird. Aus unserer Sicht ist die Integration in das kassenärztliche Versorgungssystem damit dringend zu empfehlen, um frühzeitig Menschen mit problematischem Internetnutzungsverhalten durch ein niedrigschwelliges und wohnortunabhängiges Therapieangebot zu versorgen und der Chronifizierung einer INS frühzeitig und schnell entgegenzuwirken. OMPRIS könnte somit in unterschiedlichen Phasen der kassenärztlichen Versorgung (z. B. prästationär als Motivationsförderung, poststationär als Nachsorge oder gar als alleinige Intervention) eingesetzt werden, um INS-Patienten wohnortunabhängig und zentral durch vorhandene universitäre INS-Spezialambulanzen versorgen zu lassen. OMPRIS schließt damit die bestehende Versorgungslücke für diese Patientengruppe. Perspektivisch könnte die OMPRIS Versorgungsstruktur auch auf artverwandte andere Störungsbilder angepasst und modifiziert werden.
(Quelle: OMPRIS-Ergebnisbericht, S. 5 f.)

Der vollständige Ergebnisbericht kann HIER heruntergeladen werden.

Redaktion KONTUREN online, 22.8.2024