Eine wenig beachtete Lebenslage
Ein landesweites Forschungsprojekt der Hochschule Esslingen hat die Situation von wohnungslosen Familienhaushalten betrachtet und fünf Handlungsempfehlungen aufgestellt.
Das Statistische Bundesamt meldete im Jahr 2023, dass in Baden-Württemberg 76.510 wohnungslose Personen in Kommunen untergebracht wurden. In Zeiten von Inflation, Kriegen und nicht vorhandenem bezahlbarem Wohnraum sind immer häufiger Familienhaushalte von Wohnungslosigkeit betroffen. Dabei ist die Unterkunftssituation wohnungsloser Familien alarmierend: Knapp 60 Prozent leben bei Familienangehörigen, Partnern und Bekannten in prekären Mit-Wohnverhältnissen. Die zweite Wohnmöglichkeit sind Notunterkünfte bzw. eine ordnungsrechtliche Unterbringung, zu der alle Gemeinden verpflichtet sind. Die Hälfte der dort untergebrachten Personen sind unter 25 Jahre alt, Tendenz steigend.
In einem Forschungsprojekt hat sich die Hochschule Esslingen seit Dezember 2021 mit „Familien in Wohnungslosigkeit“ beschäftigt und ein gleichnamiges Förderprogramm des baden-württembergischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration wissenschaftlich begleitet. Ziel der wissenschaftlichen Begleitung unter der Leitung von Professorin Dr.in Claudia Daigler ist es, Erkenntnisse zur Lebens- und Versorgungssituation von Familien in Wohnungslosigkeit zu gewinnen. Zudem möchten die Wissenschaftler:innen Aussagen dazu treffen, welche Impulse durch das Förderprogramm in verschiedenen Kommunen gegeben werden konnten.
Was sind die Ergebnisse?
Das Projektteam hat fünf Handlungsempfehlungen gegeben:
- Prävention ist sehr wichtig: Kommunen sollten sich verstärkt bemühen, Wohnraum zu erhalten und zu sichern.
- Niederschwellige Angebote werden benötigt – dazu gehören beispielsweise Sozialarbeiter:innen, die in Unterkünfte gehen.
- Die Wohnungsnotfall-Hilfe muss sich für die Zielgruppe Familien öffnen.
- Die Jugendhilfe ist bisher außen vor. Sie müsste gerade in Notunterkünften viel präsenter sein und niederschwelliger helfen.
- Die Nachhaltigkeit der Angebote muss gesichert sein. Dazu gehören eine besser ausgestattete Sozialplanung in den Kommunen ebenso wie mehr bezahlbarer Wohnraum.
Wie sind die Wissenschaftler:innen vorgegangen?
In dem 2,5 Jahre dauernden landesweiten Forschungsprojekt, das das Sozialministerium mit 115.000 Euro gefördert hat, haben die Wissenschaftler:innen mit 20 Kommunen zusammengearbeitet. Dazu gehören große Städte wie Stuttgart und Mannheim. Aber auch mittlere und kleine Städte waren dabei wie beispielsweise Kirchheim/Teck, Ostfildern, Ludwigsburg, Böblingen, Reutlingen, Tübingen und Offenburg.
Die Professorin und ihr Team haben Gruppen-Interviews geführt, Fragebögen ausfüllen lassen, Austauschforen organisiert und zudem mit vielen Akteurinnen und Akteuren persönlich gesprochen. Im Projekt waren Studierende der Fakultät Soziale Arbeit, Bildung und Pflege der Hochschule Esslingen eingebunden. Zudem hat die studentische Mitarbeiterin Maja Mörgenthaler bei dem Projekt unterstützt.
Welche Gründe gibt es für Wohnungslosigkeit von Familien?
Die Gründe sind vielfältig: Trennung, Scheidung, Flucht, Arbeitslosigkeit und Krankheit gehören genauso dazu wie Verschuldung oder Eigenbedarfskündigungen.
Prof. Christof Wolfmaier, Rektor der Hochschule Esslingen: „Es ist erschreckend, dass in unserem reichen Land so viele Familien in prekärer Situation leben und diese Lebenslage bisher so wenig betrachtet wird. Umso wichtiger ist es, dass wir als Hochschule Esslingen mit einer stark aufgestellten Fakultät Soziale Arbeit, Bildung und Pflege ein Förderprogramm wissenschaftlich begleiten. Mit unserer Forschung rücken wir das wichtige Thema Familien in Wohnungsnot ein großes Stück mehr in den Fokus der Öffentlichkeit.“
Professorin Dr.in Claudia Daigler, Projektleiterin: „Mit unserer Forschung ist es uns gelungen, nicht nur wichtige Antworten zu erhalten und ein Förderprogramm auszuwerten. Sondern wir haben auch viele Akteurinnen und Akteure an einen Tisch bekommen. Denn für die Lösung des Problems sind gesamtheitliche Konzepte in den Kommunen notwendig. Dazu gehören eine politisch gestärkte, ausreichend ausgestattete Sozialplanung, die mit Stadt- und Bauplanung, mit Jugendhilfeplanung, Gesundheitswesen und Immobilienwirtschaft zusammenarbeitet.“
Die Ergebnisse des Projekts wurden beim öffentlichen Fachtag „Familien in Wohnungsnot“ am 18. Juni , an der Hochschule Esslingen vorgestellt.
Pressestelle der Hochschule Esslingen, 6.6.2024