Wo die Sprache nicht hinkommt
Suchtpatienten und Patienten in psychosomatischen Kliniken zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie in ihrem Leben zu selten die Erfahrung von Sicherheit und Vertrauen gemacht haben. Sie haben in der Regel nicht das Gefühl, dass sie im Leben und in der Gesellschaft einen Platz haben, dass der Boden unter den Füßen trägt und sie das eigene Leben in die Hand nehmen und gestalten können. Jahrelange therapeutische Erfahrung hat gezeigt, dass für Menschen, die das Grundgefühl des Nicht-Dazu-Gehörens in sich tragen, die so genannte TaKeTiNa-Rhythmustherapie sehr hilfreich sein kann und zur Genesung beiträgt.
Die Grundidee: Sich vom Rhythmus tragen lassen
TaKeTiNa ist der Name einer Methode, die es Menschen ermöglicht, Rhythmus mit dem Körper ganzheitlich zu erleben. Der Lehrer bedient sich dabei einer ausgefeilten Rhythmussprache bestehend aus Rhythmussilben. Er spricht dem Kursteilnehmer vor, was dieser auf dem Instrument spielen soll. Die Silben „ta“, „ke“, „ti“ und „na“ haben sich dazu als besonders geeignet erwiesen.
Der TaKeTiNa-Prozess vermittelt Rhythmus so, wie ihn der Mensch von Natur aus am besten erfassen und lernen kann. Er führt den Teilnehmer direkt zur körperlichen Erfahrung rhythmischer Urbewegungen und damit zu jenen Grundbausteinen, aus denen sich die Rhythmik jeder Musik zusammensetzt. Der Körper selbst wird zum Musikinstrument, die Begegnung mit Rhythmus ist daher entsprechend direkt und intensiv. Mit Stimme, Klatschen und Schrittbewegungen werden gleichzeitig drei unterschiedliche Rhythmusebenen aufgebaut. Das damit verbundene „Aus dem Rhythmus fallen“ und wieder „In den Rhythmus zurückfinden“ ist das Prinzip, mit dem die Teilnehmer lernen, sich immer tiefer vom Rhythmus tragen zu lassen. Intention und Hingabe, Machen und Geschehen-Lassen, Aktiv- und Passivsein verbinden sich spielerisch miteinander, sodass die Teilnehmer immer mehr den Zustand im „Hier und Jetzt“ erleben können. Die Heiligenfeld Kliniken in Bad Kissingen setzen TaKeTiNa als Rhythmustherapie seit 25 Jahren erfolgreich ein. „Die Erfahrung, von den Grundstrukturen des Rhythmus in der Gruppe getragen zu sein, sich zu verlieren, sich wiederzufinden und sich sicherer in sich selbst zu verankern, sind fundamentale und enorm bereichernde Komponenten im Rahmen einer psychosomatischen stationären Behandlung“, erklärt Dr. Joachim Galuska, leitender ärztlicher Direktor, Geschäftsführer und Mitbegründer der Heiligenfeld Kliniken.
TaKeTiNa in der Psychotherapie
Viele Patienten fühlen sich in Folge von Traumatisierung oder Bindungsstörungen immer wieder oder ständig bedroht. Wenn sie die Augen schließen, fühlen sie sich, als würden sie in eine dunkle, unendliche Tiefe fallen, ohne jeglichen Halt und ohne die Chance einer Stabilisierung. Häufig leiden diese Patienten unter Depersonalisation oder Derealisation und nehmen sich selbst, ihre Umwelt und andere Menschen als unwirklich wahr. Für diese Patienten kann der TaKeTiNa-Prozess sehr hilfreich sein, indem er zu einer verbesserten Körperwahrnehmung führt und zwanghaft kreisende Gedanken unterbricht. Viele Patienten fühlen sich durch die körperliche Erfahrung des Rhythmus seit langer Zeit zum ersten Mal wieder sicher und geborgen, und die sonst so belastende Trennung zwischen ihnen und ihrer Umwelt weicht für Momente dem Gefühl der Verbundenheit. TaKeTiNa arbeitet mit der elementarsten Kraft des Lebens – mit Rhythmus. Dieser ist in TaKeTiNa Spiegel und zugleich die Kraft, mit der behindernde Verhaltensweisen aufgelöst und Qualitäten entwickelt werden können, die die Essenz menschlichen Lebens ausmachen: Intuition und Kreativität, innere Stille und mentale Stärke, Angstlosigkeit und das Vertrauen, in komplexen Situationen die Übersicht zu behalten.
TaKeTiNa wurde von dem Wiener Musiker, Komponist, Autor und weltweit agierenden Seminarleiter Reinhard Flatischler begründet und gilt als einer der effektivsten Lernprozesse unserer Zeit. In den Heiligenfeld Kliniken wurde TaKeTiNa so modifiziert, dass auch Patienten mit Persönlichkeitsstörungen oder mit neurotischen Problemen das Verfahren sehr erfolgreich nutzen können. TaKeTiNa wird ganz besonders dazu genutzt, Menschen, die schwerwiegende und durch verbale Interventionen nur bedingt erreichbare Probleme haben, in eine positive Entwicklung zu bringen. Die Patienten verstehen das Verfahren intuitiv sehr schnell und nehmen das Angebot deshalb auch sehr gerne wahr. Sie erfahren, dass TaKeTiNa ein effektiver Weg sein kann, ihnen tiefe Entwicklungs- und Veränderungsprozesse zu ermöglichen. Ein Weg, der sie einerseits mit Episoden aus ihrer Vergangenheit in Berührung bringt, der sie andererseits aber auch in die Gegenwart und zu einer besseren Selbsteinschätzung führt. Sie können die im Rhythmus innewohnende Kraft und das Zusammenspiel in der Gruppe nutzen, um vermisste Qualitäten und Fähigkeiten nachreifen zu lassen. Gleichzeitig konfrontiert sie die Arbeit mit dem Rhythmus mit den ihr Leben behindernden Mustern und Verhaltensweisen. Mit TaKeTiNa erfahren die Patienten, wie sie inmitten von persönlichen Krisen wieder Lebensfreude, Humor, Hoffnung und Lust am Leben verspüren.
Wissenschaftliche Evaluation
Ein Team von Ärzten und Wissenschaftlern untersucht und bestätigt diese positiven klinischen Resultate seit mehr als zehn Jahren. Herzratenvariabilitätsmessungen belegen beispielsweise, dass TaKeTiNa vorhersehbar und wiederholbar ideale Bedingungen für die Regeneration des Nervensystems herstellt und daher die Grundlage dafür schafft, die Gesundheit auf psychischer Ebene zu fördern. Im Forschungsrahmen gemachte EEG-Messungen zeigen, dass die regelmäßige Anwendung von TaKeTiNa das Gehirn effektiver arbeiten lässt. Laut Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, wirke TaKeTiNa heilend, gerade bei chronisch kranken Menschen. Im Göppinger Projekt mit Hochschmerzpatienten sei TaKeTiNa für die Patienten eine essentielle Hilfe gewesen, die ihnen ermöglichte, ihre Medikation zu reduzieren und den Umgang mit Schmerz zu verbessern. Derzeit läuft in den Heiligenfeld Kliniken eine Untersuchung zur Therapie mit komplex-traumatisierten Patienten. Die ersten Ergebnisse dieser gerade angelaufenen Untersuchung sind vielversprechend und zeigen schon jetzt, dass diese Patienten ihre Heilungserfolge während der stationären Therapie besonders auch auf die in der Rhythmustherapie gemachten Erfahrungen zurückführen.
Ausbildung zum TaKeTiNa-Rhythmustherapeuten
TaKeTiNa wird mittlerweile als begleitende Maßnahme in unterschiedlichen Therapiebereichen in Kliniken und Praxen erfolgreich eingesetzt. Die Arbeit, die in den Heiligenfeld Kliniken mit der TaKeTiNa-Rhythmustherapie seit mehr als zwei Jahrzehnten geleistet wird, zählt zu den langjährigsten Projekten. Die psychotherapeutischen Resultate sind so überzeugend, dass über die Akademie Heiligenfeld nun erstmals eine eigenständige Ausbildung zum TaKeTiNa-Rhythmustherapeuten angeboten wird. Diese soll die Teilnehmer dazu befähigen, Rhythmus im therapeutischen Kontext kompetent und effektiv einzusetzen. Geleitet wird diese Ausbildung von Frank Rihm (leitender Kreativtherapeut der Fachklinik Heiligenfeld), Reinhard Flatischler (Begründer von TaKeTiNa) und Bettina Berger (HAKOMI-Lehrtherapeutin und Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie). Die Dozenten verfügen über große praktische Erfahrung in der Integration von Rhythmus in die Psychotherapie und werden den Teilnehmern zeigen, wie effektiv dieser Weg sein kann. Voraussetzung zur Teilnahme ist die Ausübung eines Grundberufes, der dazu berechtigt und befähigt, mit Menschen heilend bzw. therapeutisch zu arbeiten.
Ein Einführungsworkshop mit Reinhard Flatischler und Frank Rihm findet vom 24. bis 26. April 2015 in Bad Kissingen statt. Weitere Informationen und eine Anmeldemöglichkeit finden Sie im Internet unter www.akademie-heiligenfeld.de.
Kontakt und Informationen:
Akademie Heiligenfeld
Altenbergweg 6
97688 Bad Kissingen
Tel. 0971/84-4600
www.akademie-heiligenfeld.de
info@akademie-heiligenfeld.de
Angaben zum Autor:
Frank Rihm ist leitender Kreativtherapeut in der Fachklinik Heiligenfeld. Der Dipl.-Musiktherapeut, TaKeTiNa-Rhythmuspädagoge (Advanced Level) und Gestalttherapeut hat darüber hinaus Weiterbildungen in Somatic Experiencing (Traumatherapie nach Peter Levine) und verschiedenen Verfahren der Humanistischen Psychotherapie absolviert.