Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik – Entwicklungen im Zeitverlauf
Im November wurde der Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS), „Suchthilfe in Deutschland 2019“, veröffentlicht. In den regelmäßig erscheinenden Jahresberichten der DSHS werden die wichtigsten aktuellen Ergebnisse zusammengefasst. Im April berichteten wir auf KONTUREN online in einem Fachartikel über die an der DSHS beteiligten Institutionen und das Zustandekommen der Statistiken. In dem jüngsten, nun vorliegenden Bericht widmet sich ein Kapitel verschiedenen „Entwicklungen im Zeitverlauf“, die hier im Folgenden wiedergegeben werden. Der vollständige Bericht steht auf der DSHS-Website zum Download bereit.
Die vorliegende Statistik basiert auf den Daten des Jahres 2019, die mit dem KDS 3.0 erhoben worden sind. Der Bericht bietet neben Informationen zu den teilnehmenden Einrichtungen und dem Betreuungsvolumen einen Überblick über störungsbezogene und soziodemographische Merkmale der betreuten/behandelten Klientel sowie zu Merkmalen der Betreuung bzw. Behandlung. Ergänzend werden die Auswertungen für einige wesentliche Merkmale auch anhand folgender Hauptmaßnahmen erstellt: niedrigschwellige Hilfen, ambulante medizinische Rehabilitation, (Reha-) Nachsorge sowie ambulant betreutes Wohnen und Adaption.
Im Jahr 2019 wurden in 863 ambulanten und 142 stationären Einrichtungen, die sich an der DSHS beteiligt haben, 324.874 ambulante Betreuungen und 35.485 stationäre Behandlungen durchgeführt. Abweichend von der bisherigen Berichterstattung erfolgt die Darstellung der ambulanten Betreuung bzw. der stationären Behandlung sowie der Auswertungen für ausgewählte Hauptmaßnahmen ab dem Berichtsjahr 2020 in eigenständigen Kapiteln.
Im Folgenden wird das Kapitel 6 „Entwicklungen im Zeitverlauf“ wiedergegeben (hier ohne Abbildungen, im Bericht S. 90-103).
Entwicklungen im Zeitverlauf
Zur Darstellung von Veränderungen im Zeitverlauf werden einige ausgewählte Variablen im Vergleich zu den Vorjahren (ab Datenjahr 2017) dargestellt und Auffälligkeiten berichtet. Hierbei werden Veränderungen zwischen 5% und 10% als leichte Veränderungen, Veränderungen von mindestens 10% als deutliche Veränderungen interpretiert. Bei gleichgerichteten Veränderungen zwischen 3% und 5% wird eine Tendenz angenommen.
Beteiligung
Die Beteiligung an der DSHS hat bei ambulanten Einrichtungen minimal zugenommen (2017: 849, 2018: 861, 2019: 863), während sich bei den stationären Einrichtungen kein einheitlicher Trend ergibt (2017: 152, 2018: 137; 2019: 142). Im ambulanten Bereich blieben die Fallzahlen weitestgehend stabil (2017: 324.874, 2018: 325.052, 2019: 322.697, -0,7%), wohingegen im stationären Bereich eine leichte Zunahme zu beobachten war (2017: 33.588, 2018: 31.188; 2019: 135.458; +5,6%).
Störungen
Seit 2017 zeigt sich im ambulanten Bereich ein deutlicher Rückgang opioidbezogener Störungen (-25%) und Pathologischen Glücksspielens (-15%) sowie eine deutliche Zunahme von Störungen in Folge des Konsums anderer psychotroper Substanzen (+102%) und exzessiver Mediennutzung (+49%) – in den beiden letztgenannten Bereichen sind allerdings die eingangs kleinen Fallzahlen zu beachten. Im stationären Bereich ist ebenfalls ein Rückgang opioidbezogener Störungen (-13%) und Pathologischen Glücksspielens (-26%) zu beobachten. Zudem haben hier kokainbezogene Störungen (+44%) und Störungen in Folge des Konsums anderer psychotroper Substanzen (+35%) zugenommen.
Geschlechterverteilung
Die Geschlechterverteilung ist im ambulanten Bereich seit 2017 relativ stabil geblieben. Bei Klient*innen mit exzessiver Mediennutzung hat der Frauenanteil zwar zugenommen (+40%), dies ist in Anbetracht der geringen Fallzahlen jedoch mit Vorsicht zu interpretieren.
Im stationären Bereich ist der Frauenanteil seit 2017 tendenziell rückläufig (-4%). Dieser Trend ist insbesondere auf rückläufige Anteile bei den Patient*innen mit alkoholbezogenen Störungen (-9%) zurückzuführen.
Alter
Im ambulanten Bereich ist das durchschnittliche Alter seit 2017 insgesamt stabil geblieben. Allerdings war bei Personen mit alkoholbezogenen Störungen (+6 Monate), stimulanzienbezogenen Störungen (+10 Monate) oder exzessiver Mediennutzung (+14 Monate) eine tendenzielle Zunahme des Durchschnittsalters zu beobachten.
Im stationären Bereich ist das Durchschnittsalter zwar innerhalb der Gesamtklientel seit 2017 stabil, aber auf Hauptdiagnoseebene sind Trends erkennbar. Bei Patient*innen mit Glücksspielproblematik (+12 Monate) bzw. mit opioid- (+16 Monate) oder stimulanzien-bezogenen Störungen (+18 Monate) ist das durchschnittliche Alter um mindestens ein Jahr gestiegen, wohingegen sich bei Personen mit exzessiver Mediennutzung ein gegenläufiges Bild zeigt (-54 Monate). Allerdings sind in der letztgenannten Gruppe die geringen Fallzahlen zu beachten.
Familiensituation
Im Hinblick auf die Familiensituation ist die durchschnittliche Anzahl minderjähriger Kinder innerhalb der betreuten Klientel mit Kindern seit 2017 unverändert. Allerdings zeigen sich Veränderungen bei Personen mit opioidbezogenen Störungen, bei denen die Kinderzahl im Durchschnitt gesunken ist (-12%).
Im stationären Bereich hat sich die durchschnittliche Anzahl minderjähriger Kinder in der gesamten Klientel mit Kindern seit 2017 reduziert (-5%), insbesondere bei Patient*innen mit opioidbezogenen Störungen (-17%). Der deutliche Rückgang bei Patient*innen mit exzessiver Mediennutzung (-27%) ist bedingt durch die kleine Fallzahl jedoch kaum interpretierbar.
Migrationshintergrund
Die Trendanalyse zeigt, dass der Anteil an Klient*innen mit Migrationshintergrund im ambulanten Bereich seit 2017 rückläufig ist (-6%), insbesondere bei Personen mit Glücksspielproblematik (-13%). Lediglich bei Klient*innen mit opioidbezogenen Störungen (+3%) oder exzessiver Mediennutzung (+36%) ist tendenziell eine gegenläufige Entwicklung beobachtbar, wobei bei der letztgenannten Gruppe die kleine Fallzahl zu berücksichtigen ist.
Im stationären Bereich ist der Anteil an Patient*innen mit Migrationshintergrund seit 2017 tendenziell gestiegen (+3%). Diese Entwicklung ist im Wesentlichen auf einen steigenden Migrant*innenanteil bei Personen mit alkoholbezogenen Störungen (+21%) zurückzuführen. Auch bei Patient*innen mit exzessiver Mediennutzung (+53%) ist eine deutliche Zunahme zu verzeichnen, die aufgrund der kleinen Fallzahlen jedoch nur eingeschränkt interpretierbar ist. Demgegenüber ist der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund bei Patient*innen mit opioidbezogenen Störungen (-7%) rückläufig. Dies trifft tendenziell auch auf Personen mit stimulanzienbezogenen Störungen zu (-4%).
Bildungsstand
Seit 2017 hat sich der Bildungsstand der ambulanten Klientel insgesamt leicht verbessert. Es finden sich über alle Hauptdiagnosen mehr Klient*innen mit hoher Schulbildung (+11%), am stärksten ist die Zunahme bei Personen mit Glücksspielproblematik (+24%), cannabinoidbezogenen Störungen (+13%) und exzessiver Mediennutzung (+10%), wobei in der letztgenannten Gruppe die kleinen Fallzahlen zu beachten sind. Der Anteil an Personen ohne Schulabschluss ist über alle Hauptdiagnosen hinweg leicht zurückgegangen (-8%), am stärksten unter Klient*innen mit alkoholbezogenen Störungen (-10%).
Auch in der stationären Klientel zeigt sich seit 2017 insgesamt ein leichter Anstieg des Bildungsstandes. Dies betrifft insbesondere Patient*innen mit Störungen in Folge des Konsums illegaler Substanzen, bei denen der Anteil mit hoher Schulbildung jeweils leicht zugenommen hat (opioidbezogene Störungen: +7%; stimulanzienbezogene Störungen: + 7%; cannabinoidbezogene Störungen: +5%). Der Anteil an Patient*innen ohne Schulabschluss ist weitestgehend stabil, mit Unterschieden zwischen den verschiedenen Patient*innengruppen: Bei Patient*innen mit opioidbezogenen Störungen (+11%) oder Glücksspielproblematik (+34%) finden sich vermehrt Personen ohne Schulabschluss, während der entsprechende Anteil bei Patient*innen mit cannabinoidbezogenen Störungen (-14%) bzw. exzessiver Mediennutzung (-89%) (cave kleine Fallzahlen!) deutlich abgenommen hat.
Berufliche Integration
In Bezug auf die berufliche Integration zeigt die Trendentwicklung seit 2017 einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosenquote (-10%) über alle Klient*innengruppen hinweg. Der stärkste Rückgang an Arbeitslosen findet sich bei Personen mit Glücksspielproblematik (-15%) und alkoholbezogenen Störungen (-10%).
Im stationären Bereich ist die Arbeitslosenquote seit 2017 ebenfalls leicht gesunken (-6%), insbesondere bei Patient*innen mit exzessiver Mediennutzung (-23%) (cave! kleine Fallzahl) oder alkoholbezogenen Störungen (-8%). Lediglich bei Personen mit Glücksspielproblematik ist der Anteil an Arbeitslosen geringfügig gestiegen (+6%).
Erstbetreute
Der Anteil an Erstbetreuten ist im ambulanten Bereich seit 2017 um +7% gestiegen. Eine Zunahme findet sich bei nahezu allen Patient*innengruppen, wobei der Trend bei Personen mit opioidbezogenen Störungen (+17%) am stärksten ausgeprägt ist.
Im stationären Bereich zeigt die Trendanalyse seit 2017 einen tendenziell steigenden Anteil an Erstbehandelten (+4%), insbesondere bei Personen mit stimulanzienbezogenen Störungen (+6%) sowie bei Patient*innen mit alkoholbezogenen Störungen (+5%). Der deutliche Anstieg bei Patient*innen mit exzessiver Mediennutzung (+20%) ist aufgrund der geringen Fallzahlen nur begrenzt interpretierbar. Eine gegenläufige Entwicklung ist im Bereich Glücksspielproblematik zu beobachten, wo der Anteil Erstbehandelter leicht gesunken ist (-5%).
Latenz
Die Latenz von Störungsbeginn bis Betreuungsbeginn blieb im ambulanten Bereich seit 2017 über alle Patient*innengruppen hinweg nahezu unverändert. Nur bei Klient*innen mit stimulanzienbezogenen Störungen ist eine leichte Zunahme zu verzeichnen (+6 Monate).
Im stationären Bereich findet sich seit 2017 eine zunehmende Latenz bei stimulanzien- bzw. opioidbezogenen Störungen (jeweils +14 Monate). Demgegenüber ist die Zeit zwischen Störungs- und Behandlungsbeginn bei alkoholbezogenen Störungen (-8 Monate) und Glücksspielproblematik (-11 Monate) rückläufig.
Durchschnittliche Betreuungs-/Behandlungsdauer
Seit 2017 ist die durchschnittliche Betreuungsdauer im ambulanten Bereich insgesamt unverändert, obgleich sich auf Hauptdiagnoseebene eher längere Betreuungszeiten beobachten lassen. Die deutlichste Zunahme ist hier bei Personen mit opioidbezogenen Störungen (+4 Monate, d.h. 26%) zu beobachten.
Im stationären Bereich ist die durchschnittliche Behandlungsdauer seit 2017 über alle Patient*innengruppen hinweg stabil, wobei sich auf Ebene der einzelnen Hauptdiagnosen tendenziell längere Behandlungsdauern verzeichnen lassen.
Planmäßige Beendigungen
Seit 2017 hat der Anteil der planmäßig beendeten Betreuungen im ambulanten Bereich über alle Klient*innengruppen hinweg tendenziell zugenommen (+3%). Am ausgeprägtesten ist die Zunahme bei Personen mit Glücksspielproblematik (+7%) und opioidbezogenen Störungen (+6%).
Im stationären Bereich liegt der Anteil planmäßiger Beendigungen seit 2017 insgesamt unverändert bei 80%. Auf Ebene der einzelnen Hauptdiagnosen hat sich die Planmäßigkeitsquote bei Patient*innen mit Störungen in Folge des Konsums illegaler Substanzen eher erhöht (opioidbezogenen Störungen: +11%, stimulanzienbezogene Störungen: +4%), während sie bei Personen mit Glücksspielproblematik tendenziell gesunken ist (-4%).
Positive Betreuungs-/Behandlungsergebnisse
Der Anteil positiver Betreuungsergebnisse liegt im ambulanten Bereich seit 2017 stabil bei 97%. Hier kann lediglich bei Klient*innen mit opioidbezogenen Störungen eine minimale Zunahme angenommen werden.
Im stationären Bereich ist der Anteil positiver Behandlungsergebnisse seit 2017 unverändert (98%). Am ehesten lässt sich hier bei Patient*innen mit opioidbezogenen Störungen eine Zunahme beobachten.
Quelle: Hanna Dauber, Jutta Künzel, Larissa Schwarzkopf, Sara Specht (2020), Suchthilfe in Deutschland 2019. Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS), IFT München, S. 90-103.