Umfrage des bus. zeigt, es liegen viele Behandlungsangebote vor
Die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger ist eine hochwirksame, etablierte und gut evaluierte medikamentöse Standardbehandlung in der Suchtmedizin. Besonders im Zusammenspiel mit einer suffizienten psychosozialen Betreuung (PSB) stellt sie eine wichtige, auf allen Ebenen der ICF wirksame Behandlungsmethode für opiatabhängige Menschen dar. Diese multiprofessionelle Behandlung sollte, wenn möglich, in eine medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker (ambulant, ganztägig ambulant oder stationär) münden. Das Setting der medizinischen Rehabilitation bietet optimale Kontextfaktoren für die Behandlung komplexer Abhängigkeitserkrankungen und der häufig bestehenden komorbiden psychiatrischen, psychosomatischen und somatischen Erkrankungen. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass rehabilitative Behandlungen unter Substitution grundsätzlich möglich sind! Die Substitutionsbehandlungen in der Reha sollten auf die individuellen Bedarfe und auf die Verbesserung der Teilhabefähigkeit der Rehabilitand:innen ausgerichtet sein. Ein Zwang zur Abdosierung sollte nicht mehr gefordert werden.
Ausgangslage
Diese Erkenntnisse schlagen sich aktuell in der Entwicklung der S3-Leitlinie zur Behandlung Opiatabhängiger nieder. Die Entwicklung dieser Leitlinie stellt einen wichtigen Schritt dahingehend dar, dass die substitutionsgestützte Behandlung zunehmend als gängige und normale Behandlungsmethode wahrgenommen wird. Die Bewertung der Wirksamkeit der Substitutionsbehandlung wurde in den letzten Jahrzehnten oft durch ideologisch geprägte Sichtweisen bestimmt. Dies ist auch heute noch häufig der Fall. Die vertretenen Positionen liegen weit auseinander, dazu gehören zum Beispiel: „Ich bin doch nicht der Dealer meiner Patient:innen“, „Nur die abstinente Lebensführung führt zur Linderung der Sucht“, „Reha ist nur unter abstinenten Bedingungen erfolgreich“, „Abdosierung gleich Tod des Substituierten“, „Substitutionsbehandlung ist der Goldstandard in der Behandlung von Opiatabhängigen“ etc.
Diese Ideologisierung führte zu Schnittstellenproblemen und Behandlungshemmnissen, die die multiprofessionelle und multifaktorielle Planung und Durchführung einer auf die Verbesserung der Teilhabefähigkeit der Betroffenen abzielende Behandlung erheblich erschweren.
Eine schwierige Schnittstelle ist z. B. der Zugang für Substituierten in die medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker. Die Schwierigkeiten liegen unter anderem darin begründet, dass ein Großteil der niedergelassenen substituierenden Ärzt:innen der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker skeptisch gegenübersteht. Sie gehen davon aus, dass es nur wenige Fachkliniken gibt, die Substituierte behandeln, und dass in der Rehabilitation zwangsläufig eine Abdosierung der Substitutionsmedikation erfolgt, die dann mit einer erheblichen Gefährdung ihrer Patient:innen einhergehen würde. Diese Annahmen finden sich auch bei vielen Zuweisenden, insbesondere aus dem niedrigschwelligen und akzeptierenden Bereich.
Aber auch, wenn eine Reha angestrebt und beantragt wird, entstehen häufig Probleme, da die Möglichkeiten der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker nur bedingt bekannt sind. Das Bild der medizinischen Rehabilitation ist häufig noch von der Vorstellung einer „therapeutischen Gemeinschaft“ geprägt. Die Vorstellung, dass ein wesentliches Behandlungsziel der Rehabilitation die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben ist, ist vielen der substituierenden Ärzt:innen und Zuweisenden eher fremd, da Substitutionsbehandlungen primär als Hilfe zum Überleben und unter Harm Reduktion-Aspekten betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund werden häufig medizinische Rehabilitationen für Menschen beantragt, die noch nicht rehabilitationsfähig sind und eigentlich erst einmal z. B. im BTHG-Bereich betreut werden müssten. Es werden medizinische Rehabilitationen für Patient:innen beantragt, die noch nicht über die notwendige Mitwirkungsfähigkeit verfügen und in der Folge an den Anforderungen der Rehabilitationsbehandlung scheitern. Dieses Muster führte dazu, dass sowohl bei den zuständigen Leitungsträgern als auch bei Leistungserbringern der Reha ein negatives Bild der substituierten Rehabilitand:innen tradiert und Substitution während der Reha sehr kritisch gesehen wurde. In Anlage 4 zur „Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen“ von GKV und DRV wurde z. B. formuliert, dass während der Rehabilitation eine Abdosierung zu erfolgen hat.
bus.-Umfrage: „Substitution in der Rehabilitation abhängigkeitskranker Menschen“
Vor dem Hintergrund der Entwicklung der S3-Leitlinie zur Behandlung Opiatabhängiger, der oben beispielhaft skizierten Problemlagen und der Zunahme der Anfragen bezüglich einer medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker unter Substitutionsbehandlung sowie mit dem Wissen um die dynamische Entwicklung im Bereich dieses Behandlungsangebotes führte der bus. im September 2021 eine Online-Abfrage unter seinen Mitgliedseinrichtungen durch. Gefragt wurde, welche ambulanten, ganztägig ambulanten und stationären Einrichtungen der Suchthilfe Substitution während der Rehabilitation anbieten und unter welchen Bedingungen dies geschieht (z. B. mit oder ohne Zwang zur Abdosierung, mit welchem Substitutionsmedikament etc.).
Umfang des Angebots
Es haben 66 Einrichtungen unterschiedlicher Einrichtungstypen an der Umfrage teilgenommen: Fachkliniken für Alkohol und Medikamente, Drogenfachkliniken, Adaptionen, Tageskliniken und Beratungsstellen. Von insgesamt 3.454 angegebenen Behandlungsplätzen entfallen 301 Plätze auf Substitution. Die Verteilung der Behandlungsplätze ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Jedem Behandlungsplatz für Substitution stehen auf Bundesebene rund 11 Behandlungsplätze für die reguläre Behandlung von Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung gegenüber. Die größte Dichte an Behandlungsplätzen für Substitution hat Berlin mit 1:2, gefolgt von Rheinland-Pfalz mit 1:3 Behandlungsplätzen. Schleswig-Holstein bietet 1:6 Behandlungsplätze. Die wenigsten Behandlungsplätze für Substitution (relativ zur Gesamtzahl an Behandlungsplätzen) weisen Baden-Württemberg (1:23) und Nordrhein-Westfalen (1:20) auf.
Überraschend war die hohe Zahl der teilnehmenden Einrichtungen. Diese hohe Zahl lässt die Interpretation zu, dass das Thema „Substitution und Rehabilitation“ eine hohe Aufmerksamkeit erzeugt und viele Einrichtungen sich diesem Behandlungsangebot zugewandt haben.
Abdosieren oder Weiterführen der Substitution
Interessant ist, dass 45,5 Prozent der an der Umfrage beteiligten Einrichtungen medizinische Rehabilitation und Substitution anbieten. 26 dieser 30 Einrichtungen führen keine Abdosierung während der Rehabilitation durch (86,7 Prozent). Lediglich drei Einrichtungen dosieren grundsätzlich während der stationären Behandlung ab.
Diese Ergebnisse können als überraschend positiv bewertet werden, da es deutlich mehr Behandlungsmöglichkeiten für Substituierte gibt als erwartet. Kritisch anzumerken ist die ungleiche Verteilung der Behandlungsangebote auf die zuständigen DRVen und Bundesländer. Hier zeigt sich ein deutliches Missverhältnis.
Substitutionsmedikamente
Ein heterogenes Bild zeigt sich bei den eingesetzten Substitutionsmedikamenten. Dies mag zum einen an den persönlichen Erfahrungen in der Substitutionsbehandlung der zuständigen leitenden Ärzt:innen liegen. Zum anderen zeichnet sich auch eine Individualisierung der medikamentösen Behandlung ab. Dies steht mit Sicherheit auch damit im Zusammenhang, dass in den letzten Jahren weitere Medikamente für die Substitutionsbehandlung zugelassen wurden.
Ausblick
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die medizinische Rehabilitation die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger als eine wichtige und normale suchtmedizinische Behandlungsmethode wahrnimmt. Es sind in den letzten Jahren mehr Behandlungsangebote entstanden und individualisiert worden. Diese positive Entwicklung gilt es zu verstetigen. Insbesondere sollte diese Entwicklung bei den Zuweisenden und den substituierenden Ärzt:innen bekannt gemacht werden.
Kontakt:
Thomas Hempel
Therapiehilfe gGmbH
Geschäftsstelle Hamburg
Thomas-Hempel(at)therapiehilfe.de
Angaben zum Autor:
Thomas Hempel gehört zur Geschäftsführung der Therapiehilfe gGmbH und ist Ärztlicher Gesamtleiter des Therapiehilfeverbundes. Er ist Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Suchthilfe e. V.