Dr. Eckhard Roediger

Schematherapie in der Suchtbehandlung?

Dr. Eckhard Roediger

Dr. Eckhard Roediger

Das deutsche Suchtbehandlungssystem ist das mutmaßlich weltweit am besten ausgebaute, und die Abstinenzquoten gelten als durchaus befriedigend. Was kann eine Psychotherapiemethode wie die Schematherapie da noch zu einer Verbesserung beitragen? Die Frage ist durchaus berechtigt, denn es gibt mehrere Untersuchungen von Samuel Ball aus den USA, in denen eine von ihm entwickelte Kombination aus suchtspezifischen Behandlungselementen und einem Schematherapieansatz (Ball 1998) zu keinen besseren, und in der letzten Studie (Ball et al. 2011) bei einer allerdings recht schwierigen Klientel sogar zu schlechteren Ergebnissen führte als eine suchtspezifische Behandlung allein. Vielleicht sind diese Ergebnisse ein Grund, warum bisher kaum jemand in der deutschen ‚Suchtbehandlungsszene‘ diesen Ansatz aufgegriffen hat.

Die bisherigen Forschungsergebnisse sind zwiespältig

Kurz zusammengefasst haben die Studien von Ball auf das deutsche Suchtbehandlungssystem übertragen aber nur eine begrenzte Aussagekraft, denn es wurde vergleichsweise kurz (sechs bis 14 Sitzungen über max. ein halbes Jahr), mit einer recht belasteten Klientel (z. B. teilweise wohnsitzlose Drogenabhängige oder zwangseingewiesene Patienten mit einem Anteil von ca. 50 Prozent paranoider oder antisozialer Persönlichkeitsstörung) und vor allem mit einem älteren Schemaansatz gearbeitet. Dagegen wurde in den erfolgreichen Studien der Forschergruppe um Arnoud Arntz in den Niederlanden der neuere Modusansatz angewendet. Damit konnten nämlich sowohl bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (Giessen-Bloo et al. 2006) als auch mit verschiedenen anderen Persönlichkeitsstörungen (Bamelis et al. 2014) sehr gute Ergebnisse erzielt werden. Allerdings bei einer zweijährigen Behandlung, wenn auch in der letztgenannten Studie mit nur 50 Sitzungen (40 wöchentliche Sitzungen im ersten und monatliche Sitzungen im zweiten Jahr). In den Niederlanden wurde gerade eine Studie mit ca. 150 forensischen Patienten (die fast alle schwere Persönlichkeitsstörungen hatten) abgeschlossen, und die ersten Ergebnisse sind auch hier positiv (Bernstein et al. 2012), allerdings wurde über mehrere Jahre behandelt. Die endgültigen Ergebnisse werden für diesen Sommer erwartet. Bei ausreichend langer Behandlung sind also auch diese schwierigen Patienten zu erreichen.

Diese Mischung aus unterschiedlich ermutigenden Ergebnissen gilt es genauer zu betrachten, um das Potenzial der Schematherapie für die Suchtbehandlung differenziert einzuschätzen. Dazu sollen nun die wichtigsten Elemente einer Schematherapie kurz umrissen werden.

Die Bedeutung der Basisemotionen

Das Modell der Schematherapie orientiert sich stark an dem Modell der Bindungsforschung (Bowlby 1976). Demzufolge haben Kinder Grundbedürfnisse, die im Kern das Bedürfnis nach wohlwollenden Bindungen einerseits und den Aufbau von Selbstbehauptungsfähigkeit und Kontrolle andererseits umfassen. Bei Frustrationen dieser Bedürfnisse in den frühen Beziehungserfahrungen werden als Signal sog. Basisemotionen (Ekman 1993) aktiviert. Das sind zunächst einmal Angst, Trauer, Ekel und Wut. Sie zeigen an, dass dem Kind emotional etwas fehlt. Vielen Lesern werden diese Basisemotionen aus dem Film „Alles steht Kopf“ vertraut sein, bei dessen Entstehung Paul Ekman beratend mitwirkte. Etwas vereinfacht kann man sagen, dass Frustration des Bindungsbedürfnisses primär Angst oder Trauer auslöst und die Bedrohung der Selbstbehauptung Ekel (was sich im Seelischen eher als ‚Genervt-Sein‘ zeigt) bzw. Wut. Eine Bindungsfrustration kann aber sekundär auch Ärger auslösen, was häufig bei Narzissten zu beobachten ist. Hinter der sekundären Wut steckt dann eine primäre Trauer oder Angst, die aber nicht wahrgenommen wird (Greenberg et al. 2003). Dann gibt es noch die Basisemotionen „Überraschung“, die aber emotional neutral ist, und „Freude“, die auftritt, wenn alle Bedürfnisse ausreichend befriedigt sind. In dem oben genannten Film kann man jedoch sehen, dass die Freude gegenüber den anderen Basisemotionen eine eher aktive bzw. organisierende Rolle einnimmt.

Das Schematherapiemodell

Starke bzw. häufige Frustrationen der Grundbedürfnisse in der Kindheit und Jugend führen dem Schematherapiemodell zufolge dazu, dass in der neuronalen Matrix des Gehirns  sog. Schemata angelegt werden. Werden diese im Erwachsenenalter in ähnlicher Weise aktiviert (z. B. durch Beschämung, Zurücksetzung und Verlassen-Werden), kommen die Patienten in einen komplexen Aktivierungszustand (einen  sog. Modus), der dem damaligen Erleben entspricht. Sie fühlen dann einerseits emotional wieder wie als Kind (sog. Kindmodus), andererseits werden auch Bewertungen und Lernerfahrungen von damals aktiviert, die als innere Instanz eine heute angemessene Bewertung verzerren (sog. innere Bewerter, oft auch innere Elternmodi genannt – siehe Abbildung 1). Die aktuelle Situation versuchen die Patienten dann durch die Strategien zu bewältigen, die sie in diesen Situationen in der Kindheit erlernt haben (sog. Bewältigungsmodi). Sie betrachten die Welt in Schemaaktivierungssituationen sozusagen aus Kinderaugen und setzen automatisch die alten Lösungen ein. Die innere Beweglichkeit ist deutlich eingeschränkt, und die Patienten haben keinen Zugriff auf die Möglichkeiten bzw. Ressourcen, die sie inzwischen als Erwachsene entwickelt bzw. erworben haben. Dadurch wirkt das Bewältigungs- oder Problemlöseverhalten maladaptiv oder sogar ‚kindisch‘. Sie sitzen mit einem ‚Tunnelblick‘ bzw. ‚Scheuklappen‘ in einer Lebensfalle fest (Young et al. 2005).

Ziel der Therapie ist, die Schemata und die typischen Auslösesituationen (oft zwischenmenschliche Konfliktsituationen) kennenzulernen, die aktuellen Modusaktivierungen auf die mutmaßlichen biographischen Entstehungssituationen zu beziehen, sich emotional zu distanzieren und eine wohlwollende, neue Perspektive des sog. gesunden Erwachsenenmodus einzunehmen. Aus dieser Haltung heraus soll anstatt der automatischen, maladaptiven Bewältigung eine funktionale Lösung gefunden und umgesetzt werden. Die Therapeuten übernehmen dabei eine Rolle, die der von Eltern oder einem Trainer ähnelt.

Abb. 1: Modusmodell

Abb. 1: Modusmodell

Suchtverhalten im Schematherapiemodell

In der Regel wird die Einnahme psychotroper Substanzen oder das Ausführen selbstberuhigender bzw. selbststimulierender Aktivitäten als „Modus des distanzierten Selbstberuhigers“ eingeordnet. Das trifft in der Regel auch zu, denn das Verhalten dient dazu, eine unangenehme innere Spannung, die aus einer Grundbedürfnisfrustration entsteht, aktiv oder passiv abzubauen. In einer Schematherapie wird man aber immer gemeinsam die Auslösesituation im Einzelfall analysieren, um die Funktion des Suchtverhaltens vor dem Hintergrund der emotionalen Aktivierungen (Kindmodi) und der aktivierten Bewertungen (Elternmodi) individuell zu verstehen. Dabei sind folgende Grundtypen beispielhaft beobachtbar (siehe Abbildung 1):

  1. Ein Arzt nimmt Aufputschmittel, um einen Nachtdienst durchzustehen und seine Aufgaben zu schaffen. Dann erhält das Suchtmittel einen Aufopferungs– bzw. Unterordnungsmodus aufrecht.
  2. Eine Prostituierte nimmt Heroin, um passiv ihr Elend nicht mehr zu spüren. Das wäre ein sog. distanzierter Selbstschutzmodus.
  3. Ein arbeitsloser junger Mann spielt mehrere Stunden am Tag Online-Spiele, um sich aktiv abzulenken. Dann hätte das Spielen die Funktion eines distanzierten Selbstberuhigers. Auch z. B. Entspannungstrinken, exzessives Einkaufen, Cannabiskonsum oder Selbstverletzungen können in dieser Weise eingesetzt werden.
  4. Menschen setzen Psychostimulanzien ein, um ihr Selbstwertgefühl, ihre Erlebensintensität oder ihre sexuelle Leistungsfähigkeit zu steigern. Das wäre ein Selbststimulierer.
  5. Manche Menschen gehen aus Frustration in einen anklagend-vorwurfsvollen Selbsterhöhungsmodus und rechtfertigen damit ihr Suchtverhalten. Sie fühlen sich als Opfer, und die anderen sind schuld. Dann unterstützen die Suchtmittel einen überkompensierenden Selbsterhöhungsmodus.

Das übergeordnete Therapieziel

Die wesentliche Erweiterung des therapeutischen Blickwinkels besteht darin, von den vordergründigen Bewältigungsmodi zu den hintergründigen emotionalen Kindmodi und aktivierten Bewertern (innere Elternmodi) zu kommen. Man kann von einem Schritt von der ‚vorderen‘, symptomatischen Ebene zu einer persönlichkeitsbedingten, motivationalen Ebene sprechen. Diese Einteilung in zwei Ebenen erweitert das klassische Modusmodell von Young. Die störungsspezifischen Interventionen setzen an der Symptom- bzw. unmittelbaren Verhaltensebene an, die schematherapiespezifischen Interventionen haben das Ziel, die Bewerter zu identifizieren und zu ‚entmachten‘ und das emotionale Erleben des Kindmodus mit Selbstmitgefühl zu betrachten und die Grundbedürfnisse so gut wie möglich zu befriedigen. Das ist die Aufgabe des gesunden Erwachsenenmodus, der im Laufe der Therapie mehr und mehr aufgebaut wird. Dieser Modus entspricht der ‚Regiefunktion‘, die die Freude in dem oben genannten Film in den Augen des Autors fälschlicherweise einnimmt. Die Basisemotion Freude ist nämlich das Ergebnis, wenn der Erwachsenenmodus seine Aufgabe gut erfüllt.

Der Erwachsenenmodus wird in den erlebnisaktivierenden Übungen (s. u.) durch inneren Perspektivwechsel darin unterstützt, die Schemaaktivierungssituation wie von außen mit den Augen einer wohlwollenden anderen Person anzuschauen. Durch die emotionale Distanz sinkt das Erregungsniveau, der mentale Blickwinkel weitet sich, und die Patienten können wieder auf vorhandene Ressourcen zurückgreifen. Aus diesem Abstand heraus ist eine ausbalancierte Grundbedürfnisbefriedigung leichter möglich. Wo das nicht möglich ist, bauen Therapeut und Patient schrittweise diese Ressourcen auf. Abhängig von dem Ausmaß, in dem das notwendig ist, dauern die Therapien dann entsprechend länger.

Die innere Balance in der Suchtbehandlung

Der Konsum von Suchtmitteln als Bewältigungsmodus dient generell dazu, die sich im Hintergrund andeutenden Basisemotionen ‚aufzulösen‘. Dadurch wird aber deren Signalcharakter zugedeckt und eine nachhaltige Befriedigung verhindert. Schaut man auf die oben genannten fünf Grundtypen von Suchtverhalten vor dem Hintergrund der aktivierten Kind- und Elternmodi, zeigen diese jeweils eine andere Form des Ungleichgewichts bei der Grundbedürfnisbefriedigung:

Typ 1 tut für Bindung und Anerkennung (fast) alles und vernachlässigt darüber sein Selbstbehauptungsbedürfnis, was langfristig zu Ärgergefühlen führt, in denen sich diese Frustration zeigt. Er müsste sein ‚Selbstbehauptungs-Bein‘ stärken, um in eine innere Balance zu finden.

Typ 4 und 5 als Gegenpol leben ihr Selbstbehauptungsbedürfnis übertrieben aus und ignorieren, dass sie auch Bindung brauchen, was sich später in Einsamkeitsgefühlen oder auch Panik zeigen kann. Sie müssten in Kontakt mit ihrer verletzbaren Seite kommen, um motiviert zu sein, sich einzuordnen und zu kooperieren, damit sie nicht nur durch Vorwürfe oder Kontrolltendenzen, sondern auch in vertrauensvollen Beziehungen Sicherheit (und Annahme bzw. Liebe) finden.

Typ 2 und 3 nehmen eine Mittelstellung ein und zeigen ein mehr passives (Typ 2) bzw. aktives (Typ 3) Vermeidungsverhalten. Sie gehen weder enge Bindungen ein noch zeigen sie erfolgreiches  Selbstbehauptungsverhalten. Sie ziehen sich gewissermaßen zu stark in sich selbst zurück. Dadurch bleiben beide Grundbedürfnisse weitgehend unbefriedigt, was die Suchtdynamik verstärkt. Diese Situation trifft für die meisten Menschen mit Abhängigkeiten zu. Sie müssten in einer Therapie sowohl modellhaft Vertrauen in Bindungen zu anderen Menschen aufbauen als auch in den Therapiebeziehungen Selbstbehauptung üben. Zudem sind für sie funktionale Wege zur inneren Distanzierung und Selbstberuhigung hilfreich, um das Suchtverhalten zu ersetzen.

Die schematherapeutische Beziehung

Wie aus den oben genannten Studien hervorgeht, ist die Schematherapie keine Kurzzeittherapie, denn das ‚erste Bein‘, auf dem sie steht, ist eine recht intensive therapeutische Beziehung, die von dem Begründer, Jeffrey Young (Young et al. 2005), „begrenzte Nachbeelterung“ (engl.: limited reparenting) genannt wurde. Der Name deutet an, was die Schematherapie-Beziehung erreichen will, nämlich eine Beziehungsdichte, die für eine begrenzte Zeit und im therapeutisch möglichen Rahmen die Intensität einer Eltern-Kind-Beziehung besitzt, um in der Kindheit ‚eingebrannte‘ negative Beziehungserfahrungen (die Schemata) zu ‚heilen‘. Um diese Beziehungsintensität in der Stunde zu erreichen, aber die Patienten dennoch ausreichend stabil aus der Therapiestunde entlassen zu können, setzt sie sog. erlebnisaktivierende Techniken ein, die überwiegend dem Psychodrama und der Gestalttherapie entlehnt sind. Diese stellen das ‚zweite Bein‘ einer Schematherapie dar.

Die erlebnisaktivierenden Techniken

Dabei handelt es sich zum einen um die sog. Imaginationstechniken, zum anderen um sog. Modusdialoge auf mehreren Stühlen. Beide Techniken folgen einem relativ klar vorgezeichneten Ablauf, der natürlich an die einzelnen Patienten und den jeweiligen Verlauf der Übung angepasst wird, der aber den Therapeuten eine klare Orientierung gibt, ‚wohin die Reise geht‘. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu weniger direktiven Ansätzen, die mehr mit einem ‚geleiteten Entdecken‘ arbeiten. Unter http://www.schematherapie-roediger.de/blatt/index_blatt.htm können Abläufe für die wichtigsten Therapiesituationen im Detail angeschaut werden. Zur Anwendung dieser Techniken bei einem alkoholabhängigen Patienten siehe Roediger (2016a). Die Therapeuten nehmen bei den erlebnisaktivierenden Techniken mitunter anfangs eine sehr aktive Rolle ein und haben dadurch eine gute Kontrolle über den Verlauf der Stunde. Sie können entsprechend der Fähigkeiten der Patienten zunächst die Auflösung einer von den Patienten eingebrachten schwierigen Situation modellhaft vormachen, und die Patienten übernehmen schrittweise eine aktivere Rolle. Eben ganz ähnlich, wie es in alltäglichen Lernsituationen auch geschieht. Damit ist die Schematherapie deutlich ‚pädagogischer‘ als die meisten anderen Therapien.

Die Fallkonzeption

Die erlebnisaktivierenden Techniken und die Therapiebeziehung werden immer bezogen auf eine zu Beginn der Therapie von Therapeut und Patient gemeinsam erarbeitete Fallkonzeption eingesetzt. Zum besseren Verständnis der eigenen Situation bezogen auf das Schematherapiemodell gibt es mehrere Bücher für Patienten (Jacob et al. 2011; Roediger 2014, 2015). Die Fallkonzeption stellt das ‚dritte Bein‘ einer Schematherapie dar. Dadurch haben Patienten und Therapeuten jederzeit im aktuellen Prozess in der Stunde einen gemeinsamen Bezugspunkt, der Orientierung und einen Überblick gibt. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn wenn die emotionale Aktivierung zu stark zu werden droht oder um die aktuellen Schemaaktivierungen in die Fallkonzeption einzuordnen, können Therapeut und Patient ganz konkret aufstehen und nebeneinander stehend in die Rolle eines ‚Beraterteams‘ wechseln. Folgende Fragen klären dann die Situation: „In welchem Bewältigungsmodus sind Sie jetzt?“, „Was sagen die Stimmen der inneren Bewerter dazu?“, „Welche Gefühle löst das in Ihrem Inneren aus (Kindmodus)?“, „Wie würde ein gesunder Erwachsener in dieser Situation reagieren?“. Das reguliert die Emotionen herunter und stabilisiert die therapeutische Arbeitsbeziehung. Näheres dazu bei Roediger (2016b).

Auf diesen drei Beinen stehend, verbindet die Schematherapie die Beziehungsintensität und das biographische Verständnis einer psychodynamischen Therapie mit der Transparenz und zielgerichteten Lösungsorientierung von Verhaltenstherapien. Sie liefert einen übergeordneten Rahmen dafür, die Persönlichkeitsmuster der Patienten biographisch zu verstehen und das Suchtverhalten als maladaptiven Bewältigungsversuch einzuordnen, und sie gibt den Patienten einen Kompass für eine ausbalancierte und nachhaltige Grundbedürfnisbefriedigung.

Anwendung des Schemamodells in der Suchtbehandlung: Schematherapie und „SchemaBeratung“

Die oben umrissene Schematherapie ist als Langzeittherapie konzipiert und evaluiert, könnte aber an unser Suchtbehandlungssystem in verschiedener Weise angepasst werden:

  1. Die hohe Therapieintensität in einer stationären Suchtbehandlung erlaubt den Einsatz einer speziellen Gruppenschematherapie (Farrell & Shaw 2013), die in einer geschlossenen Gruppe über zwölf Wochen eine familienartige ‚Zweitsozialisation‘ mit tiefgehenden korrigierenden Beziehungserfahrungen ermöglicht. Bei Patientinnen mit Borderline-Störungen führte dies zu sehr starken Therapieeffekten (Farrell et al. 2009). Kombiniert mit Einzelgesprächen ist so ein intensiver Einstieg in eine schematherapeutisch-fundierte Suchtbehandlung auch für Patienten mit komorbiden Persönlichkeitsstörungen möglich. Ein solches Modell befindet sich in der Fachklinik Wilhelmsheim in der Implementierung. Die schematherapeutische Behandlung sollte idealerweise ambulant fortgesetzt werden.
  2. In Kliniken, die eine solche Gruppe (noch) nicht anbieten können, kann im Rahmen der Einzelgespräche das Schematherapiemodell als Erklärungsmodell für die Suchtentstehung und -behandlung dienen, und in einzelnen erlebnisaktivierenden Übungen kann eine Motivation zur ambulanten Weiterbehandlung aufgebaut werden. In vielen Gegenden Deutschlands sind schematherapeutisch qualifizierte niedergelassene Therapeuten verfügbar, um die Therapie in der notwendigen Länge und Intensität weiterzuführen.
  3. Für Patienten ohne komorbide Persönlichkeitsstörung erscheint die beschriebene Beziehungsdichte nicht unbedingt notwendig. Sie könnten im Sinne des oben genannten Balancemodells dennoch von der Schematherapie und den erlebnisaktivierenden Techniken in einem eher ressourcenorientierten Behandlungssetting, z. B. in der ambulanten Rehabilitation, profitieren. Ein entsprechender Ansatz kann als „SchemaBeratung“ auch von Therapeuten ohne ärztliche oder psychologische Approbation erlernt werden (Handrock et al. 2016; Infos unter http://www.eroediger.de/coach/index_coach.htm). Damit wäre eine Kombination aus stationärer Behandlungseinleitung und ambulanter Fortführung im Rahmen einer Rehabilitationsbehandlung möglich.
  4. Menschen, die mit Suchtproblemen erstmalig in Beratungsstellen kommen, bietet die SchemaBeratung einen allgemeinpsychologisch verständlichen Zugang, ihr Suchtproblem zu verstehen und sich vor diesem Hintergrund auf eine Beratung einzulassen. Das Schemamodell ist vollständig mit dem Ansatz der Motivierenden Gesprächsführung (Miller & Rollnick 2009) kompatibel und kann diesen um eine biographische Dimension erweitern.

Zusammenfassung

Trotz der wenig ermutigenden Ergebnisse aus den Studien von Samuel Ball erscheint ein differenzierter Einsatz schemabasierter Ansätze in Therapie und Beratung sinnvoll, um die positiven Erfahrungen aus den von Arnoud Arntz geleiteten Studien auch für Patienten im Suchtbehandlungssystem in verschiedenen Settings nutzbar zu machen. Im Gegensatz zu den Studien von Ball sollte dabei auf eine ausreichend lange Gesamtbehandlungszeit und den systematischen Einsatz erlebnisaktivierender Techniken im Rahmen einer modusbasierten Fallkonzeption geachtet werden. Auch der Einsatz des Modells und der Techniken im Rahmen einer ressourcenorientierten Beratungsarbeit erscheint möglich. Entsprechende Ansätze sollten evaluiert werden, um den Ergebnissen Balls hoffentlich bessere Ergebnisse entgegensetzen zu können.

Kontakt:

Dr. Eckhard Roediger
Institut für Schematherapie-Frankfurt
Alt Niederursel 53
60439 Frankfurt
kontakt@eroediger.de
http://www.eroediger.de/

Angaben zum Autor:

Dr. Eckhard Roediger ist in freier Praxis als Ärztlicher Psychotherapeut tätig. Er ist Leiter des Instituts für Schematherapie-Frankfurt (IST-F) und Präsident der internationalen Schematherapiegesellschaft (ISST).

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