Wolfgang Schmidt-Rosengarten

Dieses Spiel muss ein Ende haben!

Wolfgang Schmidt-Rosengarten

Wolfgang Schmidt-Rosengarten

Nach einer aktuellen Repräsentativerhebung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gelten in Deutschland über 200.000 Menschen als glücksspielabhängig. Zusätzlich zeigen 240.000 Menschen ein zumindest problematisches Spielverhalten. Als Risikofaktoren für eine Glücksspielproblematik gelten: männliches Geschlecht, Alter bis 25 Jahre, niedriger Bildungsstatus und Migrationshintergrund. 16 Prozent der glücksspielsüchtigen Klienten in Beratungsstellen haben eine Verschuldung von bis zu 25.000 Euro, zehn Prozent sogar bis 50.000 Euro. Die Suizidrate ist bei Glücksspielabhängigen im Vergleich zu anderen Suchterkrankungen signifikant höher.

Das Glücksspiel mit dem höchsten Suchtrisiko

Die Deutsche Suchthilfestatistik weist aus, dass ca. 75 Prozent der Menschen, die von Glücksspielen abhängig sind und sich in Behandlung begeben, durch Geldspielautomaten abhängig geworden sind. Das Spiel an Geldspielautomaten gilt als das Glücksspiel mit dem höchsten Suchtrisiko. Erst 2012 hat die Politik im Glücksspielstaatsvertrag das Automatenspiel als Glücksspiel definiert, nachdem es der Branche jahrzehntelang gelungen war, der Politik und der Öffentlichkeit Geldspielautomaten als „Unterhaltungsgeräte mit Geldgewinnmöglichkeiten“ zu verkaufen.

Als im April 2014 Hessen als erstes Bundesland flächendeckend ein Spielersperrsystem für alle Spielhallen verpflichtend eingerichtet hatte, beschwerte sich der Hessische Münzautomatenverband schon vor Jahresablauf darüber, dass die Umsätze bereits um 26 Prozent zurückgegangen wären. In wenigen Monaten hatten sich in Hessen 7.000 Menschen als Eigenschutzmaßnahme vor den Folgen ihrer Glücksspielabhängigkeit selbst sperren lassen. Derzeit umfasst die Sperrdatei in Hessen ca. 12.000 Menschen. Der Anteil der dabei von Spielhallenbetreibern ausgesprochenen Fremdsperren ist dabei mit 120 äußerst gering.

Die Universität Hamburg hat internationale Studien ausgewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass etwa 15 Prozent der Spieler in Spielhallen 70 Prozent der Umsätze generieren. Das heißt, das Geschäftsmodell der Spielhallen basiert auf wenigen Intensivspielern, die glücksspielabhängig und somit krank sind.

Die Liberalisierung der Spielverordnung 2006 hat der Spielhallenbranche enorme Expansionsmöglichkeiten geboten. Die Anzahl der Spielhallen und deren Umsätze sind in der Folge regelrecht explodiert: von 2,4 Milliarden Euro (2005) auf 4,7 Milliarden Euro (2014). Inzwischen umfassen die Spielhallenbruttospielerträge fast die Hälfte des gesamten Glücksspielmarktes in Deutschland.

Wirksame Präventionsmaßnahmen führen automatisch zu Umsatzrückgängen

Eine Korrektur dieser Entwicklung sollten im Jahre 2012 der Glücksspielstaatsvertrag und entsprechende Länderspielhallengesetze erreichen. Darin wurde u. a. festgelegt, dass – nach einer Übergangszeit von fünf Jahren – zwischen zwei Spielhallen ein Mindestabstand liegen muss, je nach Bundesland zwischen 100 und 500 Metern. Darüber hinaus darf in einem Gebäude nur noch eine Spielhalle mit maximal zwölf Geräten existieren. Nach Ablauf der Übergangsfrist steht im Jahre 2017 in vielen Bundesländern nun die Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben an. Dies führt seit geraumer Zeit in der Branche zu vielfältigen Aktivitäten im Rahmen der ‚politischen Landschaftspflege‘. Alle Register der politischen Lobbyarbeit werden gezogen, um die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zu verhindern: Der Politik wird mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen und Steuerausfällen gedroht, langwierige juristische Auseinandersetzungen werden angedeutet, aber auch Selbstverpflichtungen angeboten. Das „gemeinsame Ziel“, die Zahl der pathologischen Spieler in Deutschland gering zu halten, wird beschworen und das Bemühen der Branche um Prävention in den Mittelpunkt gestellt.

Dabei ist klar, dass wirksame Präventionsmaßnahmen in Spielhallen automatisch zu massiven Umsatzrückgängen führen müssen: Würden die glücksspielsüchtigen Intensivspieler konsequent davon abgehalten zu spielen, wären viele Spielhallen nicht mehr überlebensfähig. Deshalb widersprechen effektive Präventionsmaßnahmen dem Gewinnstreben der Spielhallenbetreiber. Im Umkehrschluss kann man davon ausgehen, dass die Präventionsaktivitäten und Selbstverpflichtungen der Branche letztlich ineffektiv sind und nur dazu dienen, Imagepflege zu betreiben, Zeit zu gewinnen und möglichst weiter ungestört enorme Umsätze zu generieren.

Rückendeckung für die Kommunalpolitik

Vor allem die Kommunalpolitik ist jetzt gefragt, standhaft zu bleiben und für den Vollzug der anstehenden gesetzlichen Vorgaben vor Ort sorgen. Die damit verbundene Reduzierung von Spielstätten war mit den Änderungen der Gesetzgebung 2012 vom Gesetzgeber gewollt. Die damit verbundenen Rückgänge der kommunalen Steuereinnahmen stehen in keinem Verhältnis zu den jährlichen volkswirtschaftlichen Kosten von 1,9 bis 3,6 Milliarden Euro durch den Ausfall von Arbeitskraft, durch Therapien, Behandlungen, Privatinsolvenz, Beschaffungskriminalität etc., die das gewerbliche Automatenspiel laut einer Bewertung des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Universität Hamburg verursacht.

Deshalb braucht die Kommunalpolitik Rückendeckung bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben durch starke und klare Haltungen der Landes- und Bundespolitik zur Glücksspielproblematik. Das Recht der Bevölkerung auf Schutz der Gesundheit darf nicht den Partikularinteressen eines auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Wirtschaftszweiges geopfert werden.

Literatur beim Verfasser

Dieser Artikel ist auch in der Frankfurter Rundschau vom 6./7. August 2016 erschienen.

Kontakt:

Wolfgang Schmidt-Rosengarten
Hessische Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS)
Zimmerweg 10
60325 Frankfurt a. M.
Tel. 069/71 37 67 77
wsr@hls-online.org
www.hls-online.org

Angaben zum Autor:

Wolfgang Schmidt-Rosengarten ist Erziehungswissenschaftler und Suchttherapeut. Seit 1998 ist er Geschäftsführer der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS).