Qualitätsentwicklung mit DIN ISO
Viele Krankenhäuser haben sich in den letzten Jahren nach KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen, www.ktq.de) zertifizieren lassen, so auch alle Kliniken in Trägerschaft des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), ausgenommen die Einrichtungen der Suchtrehabilitation, die nach dem DIN-ISO-basierten deQus-Modell zertifiziert sind. Nun hat das LWL-Klinikum Gütersloh für den Krankenhausbereich – als Pilot im LWL – zur DIN EN ISO 9001:2008 gewechselt. Das LWL-Klinikum umfasst die Kliniken für Allgemeine Psychiatrie, Gerontopsychiatrie, Psychosomatische Medizin, Suchtmedizin sowie die Kliniken für Innere Medizin und Neurologie. Insgesamt handelt es sich um 449 Betten/Tagesklinik-Plätze, drei Ambulanzen und ca. 500 Stellen.
Ziel der Zertifizierung nach DIN ISO war es, Qualitätsmanagement (QM) als effektives Managementinstrument auszubauen, die Mitarbeitenden einzubeziehen und dabei ressourcensparend vorzugehen.
Warum DIN ISO?
Ein QM-System zu implementieren, macht Arbeit, unabhängig davon, an welchen Vorgaben eine Einrichtung sich orientiert. Aufbau- und Ablauforganisation müssen geklärt sein, regelmäßige Überprüfungen und Verbesserungen im Sinne des PDCA-Zyklus nach Deming (Plan – Do – Check – Act) sind nachzuweisen. Im LWL-Klinikum Gütersloh haben wir die DIN ISO gewählt, weil sich deren Anforderungen konkret auf diejenigen Prozesse richten, die tatsächlich in der Einrichtung ablaufen. Kernaufgabe ist es, in einem QM-Handbuch die wesentlichen Arbeitsabläufe und die sicherheitsrelevanten Prozesse darzustellen. Geregelt werden die Prozesse mit dem Ziel, ein reibungsloses Ineinandergreifen und Funktionieren zu gewährleisten, möglichen Risiken vorzubeugen und Schnittstellen zu optimieren.
Wir haben bei der Beschreibung der Prozesse die Sichtweisen der mit den Abläufen vertrauten Mitarbeitenden einbezogen, um die Regelungen wirklich an der Arbeitsrealität auszurichten. Ein solches Vorgehen erleichtert es zugleich, die Mitarbeitenden für das QM zu gewinnen, denn i. d. R. empfinden es Mitarbeitende als Wertschätzung, wenn sie gefragt werden, was ihre Arbeit ausmacht. In jährlichen internen Audits wird dann geprüft, ob die realen Arbeitsabläufe den Regelungen des Handbuchs entsprechen und ob die Regelungen geeignet sind, die Qualitätsziele der Einrichtung zu erfüllen. Gleichzeitig dienen die Audits dem Austausch zwischen der/dem Qualitätsmanagementbeauftragten (QMB) und den Mitarbeitenden, Hinweise auf Verbesserungsbedarf gelangen dem Qualitätsmanagement zur Kenntnis, Maßnahmen werden mit den Mitarbeitenden vereinbart. Unmittelbare Praxisrelevanz erhält das QM-Handbuch aber erst dann so richtig, wenn Mitarbeitende sich damit aktiv auseinandersetzen und z. B. selbst darauf hinweisen, dass ein Arbeitsablauf zu Unsicherheiten, Konflikten oder Doppelarbeiten führt und deshalb geregelt werden sollte. Dann stehen wirklich diejenigen Prozesse im Fokus, bei denen Handlungsbedarf besteht, und die Kernfragen der QM-Arbeit sind „Was brauchen wir?“, „Was nützt unserer Einrichtung?“.
Zentral werden diese Fragen jährlich im Management-Review der obersten Führungsebene gestellt. Im Rahmen dieses strategischen Management-Instruments wird das gesamte QM-System überprüft und bewertet. Die Ergebnisse der Audits fließen ebenso mit ein wie die des Beschwerde-, Fehler- und Risikomanagements, und auf der Grundlage der Bewertung werden Qualitätsziele festgelegt und zukünftige Entwicklungsschwerpunkte definiert.
Zertifizierung als ‚Sahnehäubchen‘?
Die Mitarbeitenden in die Erarbeitung von Prozessbeschreibungen einbeziehen, sich in internen Audits regelmäßig über die Vorgaben austauschen, gemeinsam Verbesserungen erarbeiten – das sind wichtige Bausteine eines lebendigen Qualitätsmanagements. Die Zertifizierung selbst sollte dann einen weiteren Motivationsschub geben und keinesfalls als übermäßige Belastung erlebt werden.
Bei einer DIN-ISO-Zertifizierung werden alle Bereiche einer Einrichtung einbezogen. Uns besuchten zwei Auditoren vier Tage lang. Im Anschluss an ein dreistündiges Audit des Direktoriums und der Personalleitung auditierten sie nahezu alle Stationen sowie die Tageskliniken und Ambulanzen aller Klinken. Insgesamt waren 109 Mitarbeitende beteiligt. Sie alle haben eine direkte Rückmeldung über ihre Arbeit bekommen, da die Auditoren zum Abschluss eines jeden Audits die Stärken und die Verbesserungshinweise detailliert benannten.
Im Mittelpunkt des Zertifizierungsaudits stand die Patientin/der Patient im Krankenhaus, d. h. die beiden Auditoren haben versucht, den ‚Weg des Patienten‘ in seiner individuellen Behandlung nachzuvollziehen. Darüber hinaus stand das Sicherheits- und Risikomanagement im besonderen Fokus. Die Bewertungsperspektive der Auditoren war einerseits auf das Risikomanagement der Prozesse ausgerichtet, mit dem Ziel, uns Hinweise auf mögliche ‚blinde Flecken‘ zu geben und auf Gefahren hinzuweisen: ein nicht abschließbarer Medikamentenschrank, Risiken bei der Medikamentenvergabe, fehlende CE-Zeichen auf den älteren Geräten der Physiotherapie – durchaus wertvolle Hinweise, die unsere eigenen Ziele unterstützen, Risiken zu verringern und Qualität weiterzuentwickeln. Gleichzeitig fokussierten die Auditoren immer wieder die Ergebnisqualität und gaben Denkanstöße, wie die Qualität der Behandlung besser gemessen werden könnte. Dies ist bekanntermaßen gerade auch im Hinblick auf das neue Vergütungssystem PEPP ein sehr wichtiger Aspekt. Immer wieder ging die Reflexion dahin, wie Ergebnisse noch stärker in das Qualitätsmanagement einfließen können.
Im Audit der Leitung stand das Management von Qualität im Mittelpunkt der Betrachtung. Das Direktorium erhielt Hinweise darauf, wie Qualitätsmanagement noch konsistenter als Führungsinstrument zur strategischen Planung genutzt werden kann.
Wie erlebten die Mitarbeitenden das Audit?
Nach Abschluss des Zertifizierungsprozesses haben wir die beteiligten Mitarbeitenden gebeten, das Audit anhand eines Fragebogens zu bewerten. 65 Bögen wurden zurückgegeben, die Rücklaufquote beträgt 60 Prozent. An der Befragung beteiligten sich alle Berufsgruppen, Antworten aus Pflege, Medizin und Therapie sind in nahezu gleicher Anzahl vertreten.
Etwa drei Viertel der Antwortenden bewerteten den Auditprozess als „sehr gut“ oder „gut“ und hatten den Eindruck, dass die Auditoren das Arbeitsfeld gut verstanden haben.
Weitere Fragen an die Mitarbeitenden waren:
Was hat Ihnen in dem Audit besonders gut gefallen?
Mitglieder der obersten Führungsebenen bewerteten positiv, dass nahezu alle Organisationseinheiten begangen wurden, dass das Audit einerseits keinen Prüfungscharakter hatte, andererseits aber Schwachstellen aufdeckte, und dass ein besonderer Fokus auf messbare Ergebnisqualität gelegt wurde.
Die Mitarbeitenden hoben die wertschätzende Haltung der Auditoren und ein authentisches Interesse für das jeweilige Arbeitsfeld durchweg als positiv hervor. Sie berichteten, dass ein direkter Praxisbezug hergestellt wurde, die Fragen am ‚Weg des Patienten‘ orientiert waren, Arbeitsabläufe kritisch hinterfragt wurden und verbesserungsbedürftige Prozesse zielgerichtet aufgedeckt wurden. Es sei ein offener und kommunikativer Austausch mit den Auditoren entstanden. Die Auditoren hätten positive Rückmeldungen gegeben, die Verbesserungsvorschläge seien konstruktiv und gut annehmbar gewesen.
Was hat Ihnen nicht gefallen?
Einzelne kritische Stimmen waren auch zu vernehmen: Der Auditor habe das Leistungsspektrum der Abteilung nicht genau gekannt. Der Ablauf des Audits sei etwas unübersichtlich gewesen. Drei ärztlich-therapeutischen Mitarbeitenden genügten die Psychiatriekenntnisse des Auditors nicht. Einem Antwortenden hat es nicht gefallen, dass sein Bereich keine Verbesserungsvorschläge erhalten hat.
Probleme mit dem Zeitmanagement wurden öfter genannt: Einigen war die Zeit zu knapp, anderen hat das Audit zu lange gedauert, in einem Fall wurde der geplante Zeitrahmen erheblich überzogen, in anderen Fällen begann das Audit mit Verspätung und es entstanden Wartezeiten für die Mitarbeitenden.
Haben Sie Verbesserungshinweise bekommen?
Mehr als drei Viertel der Antwortenden waren mit den Verbesserungshinweisen zufrieden. Ein Viertel bewertete die Verbesserungshinweise als „wenig nützlich“. Als Beispiele wurden angeführt: eine hohe Anspruchshaltung in Bezug auf die Visitenführung, Kritik an Fluchtwegen, obwohl diese feuerbehördlich abgenommen worden sind, die Fokussierung auf den Medikamentenschrank.
Welche Anregungen haben Sie bekommen?
Die Mitglieder der obersten Führungsebenen hoben die stärkere Nutzung des Qualitätsmanagements als Führungsinstrument, die weitergehende Adaptierung von Expertenstandards und Hinweise zum Risikomanagement als wertvolle Anstöße hervor. In den Bewertungen der Teammitglieder lassen sich folgende Schwerpunkte erkennen:
- Schnittstellenmanagement: Verbesserung der Zusammenarbeit mit anderen Bereichen und Berufsgruppen, Abstimmung von Abläufen, Überprüfung von Kommunikationsstrukturen
- Dokumentation: rechtssichere Dokumentation in den Ambulanzen, stärkere Strukturierung der Dokumentation im Krankenhausinformationssystem (KIS)
- Risikomanagement: Hygiene und Desinfektion, Medikamentenvergabe, Aufklärungspflicht, Sicherheit auf der Station
- Nachweis von Ergebnisqualität: Evaluierung der Arbeit, Erarbeitung von Soll- und Ist- Kriterien, Erarbeitung von Leistungskennziffern
Was halten Sie von den jährlichen Überwachungsaudits?
In den beiden Jahren bis zur Rezertifizierung kommen die Auditoren ebenfalls ins Haus, um Überwachungsaudits durchzuführen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass begonnene Entwicklungen kontinuierlich weitergeführt und die vereinbarten Maßnahmen verbindlich umgesetzt werden. Qualitätsmanagement kann so nachhaltig alle Organisationsbereiche einer Einrichtung durchdringen und die Entwicklung eines Qualitätsbewusstseins bei den Mitarbeitenden fördern.
Mehr als drei Viertel der Antwortenden finden es „sehr gut“ und „gut“, wenn die Auditoren jährlich ins Haus kommen. Wer die Verbesserungshinweise als nützlich bewertet, hofft, dass die jährliche Auditierung die Kontinuität der Qualitätsentwicklung unterstützt.
Es wurde der Wunsch geäußert, Qualitätsmanagement möge tatsächlich gelebt werden und ein authentischer Prozess mit einer fruchtbaren, berufsgruppenübergreifenden Diskussion möge entstehen.
Wir empfehlen: DIN ISO!
Unsere KTQ-Zertifizierung vor drei Jahren war erfolgreich – wir erreichten eine hohe Punktzahl und bekamen viel Lob von den Visitoren (so heißen die Auditoren bei der KTQ). Aber zusätzlich zum ganz normalen Aufbau eines QM-Systems hatten wir rund 250 Arbeitstage für das Verfassen von Berichten aufgewandt und etwa 800 Dokumente (sechs übervolle Aktenordner) kopiert und zur Einsichtnahme für die Visitoren zusammengestellt (und nach der Zertifizierung wieder entsorgt). Unsere Mitarbeitenden hatten wir mit Probevisitationen nervös gemacht, sodass sie versuchten, Prozessbeschreibungen und Berichte auswendig zu lernen. Visitiert wurden letztlich aber nur drei (!) Stationen (von 19). Nach der Zertifizierung war dann die Luft raus, und mit QM wollte keiner mehr etwas zu tun haben.
Unsere Befragungsergebnisse zeigen nun deutlich, dass die Mitarbeitenden an der Weiterentwicklung von Qualität in ihrem Arbeitsfeld interessiert sind und die Instrumente des Qualitätsmanagements akzeptieren, wenn sie den Nutzen für ihre Arbeit erkennen. Geregelte Abläufe und nachvollziehbare Risikostandards geben Mitarbeitenden Sicherheit. Die Begehung nahezu aller Organisationseinheiten bei der Zertifizierung, die direkten und wertschätzenden Rückmeldungen und Anregungen der Auditoren und im Ergebnis eine überschaubare Anzahl relevanter Verbesserungshinweise motivieren zur Bearbeitung und lassen Qualitätsmanagement in der gesamten Einrichtung erlebbar und lebendig werden.
Die Bernhard-Salzmann-Klinik (Suchtrehabilitation) ist seit 2003 nach dem deQus-Verfahren zertifiziert, daher waren wir von den Stärken einer DIN-ISO-Zertifizierung überzeugt. Überrascht und erfreut hat uns jedoch die positive Einschätzung der Mitarbeitenden auch im Krankenhausbereich.
Kontakt:
Hildegard Winkler
LWL-Klinikum Gütersloh
Buxelstraße 50
33334 Gütersloh
Hildegard.Winkler@lwl.org
Angaben zur Autorin:
Hildegard Winkler ist Qualitätsmanagerin im LWL-Klinikum Gütersloh und in der Bernhard-Salzmann-Klinik.