Dr. Lars George-Gaentzsch, Prof. Dr. Gundula Barsch, Scarlett Wiewald

Die Checkpoint-S-App für Menschen in Substitutionsbehandlung

Scarlett Wiewald

Prof. Dr. Gundula Barsch

Dr. Lars George-Gaentzsch

Checkpoint-S ist der Name einer Smartphone-App für Android-Betriebssysteme, die sich in erster Linie an die etwa 81.300 Menschen in substitutionsgestützter Behandlung in Deutschland (vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 2021) sowie an deren Behandler*innen – sprich Substitutionsärzt*innen, Psychotherapeut*innen und Sozialarbeiter*innen – richtet. Die Substitution einer Opiatabhängigkeit geht mit komplexen und vielfältigen Anforderungen an beide Seiten einher. Als sozial vulnerable Patient*innengruppe benötigen Substituierte vielseitige Hilfe und Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung. Mit der Checkpoint-S-App möchte ihnen das Team der Forscher- und Entwickler*innen ein Tool zur Seite stellen, das sie bei ihrer häufig lebenslangen Therapie begleitet und dazu beiträgt, ihren bio-psycho-sozialen Status zu stabilisieren und ihre Lebensqualität zu verbessern. Die App setzt dabei genau dort an, wo die Beratungs- und Betreuungsmöglichkeiten durch Behandler*innen aufhören: im Alltag der Patient*innen.

Das Forschungsprojekt Checkpoint-S

Entwickelt wird die Checkpoint-S-App im Rahmen eines gleichnamigen Forschungsprojekts an der Hochschule Merseburg, das seit 2019 für drei Jahre durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Die Ergebnisse unterschiedlicher empirischer Erhebungen unter substituierten Menschen und Behandler*innen werden als Bestandteil einer iterativen und agilen App-Programmierung direkt in Funktion und Design der App übersetzt. Auf diesem Wege entsteht schrittweise ein Tool, das direkt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten ist. Der Kerngedanke dabei ist: Je dichter Gestaltung und Funktionalität der App an der Lebensrealität der Adressat*innen orientiert sind, desto besser ist die Gebrauchstauglichkeit (usability) und das Nutzungserlebnis (user experience). Kooperationspartner*innen in Halle (Saale) und Berlin stehen dem Projekt mit ihrem Fach- und Praxiswissen beratend zur Seite. Alle eint die Idee, Checkpoint-S zu einem sinnvollen, therapiebegleitenden Hilfsmittel der Substitutionsbehandlung werden zu lassen.

Die App in ihrer bisherigen Entwicklungsstufe räumt auch Menschen unabhängig von einer Substitutionsbehandlung Nutzungsmöglichkeiten ein. So bietet sie Drogengebraucher*innen und suchtkranken Menschen allgemein die Möglichkeit, bestimmte Aspekte ihres Alltags zu dokumentieren, um auf diesem Weg persönlichen Konsummustern auf die Spur zu kommen: Wie sehen die emotionalen und physischen Auswirkungen des Konsums aus? Was sind die individuellen Auslöser für den Konsum (Trigger)? 

Abb. 1

Die Checkpoint-S-App macht sich das Prinzip des so genannten Self-Trackings zunutze. Gemeint ist damit die freiwillige Erfassung von Aspekten des eigenen Körpers, des Verhaltens, der Emotion sowie der Kognition und ihres Verhältnisses zur physiologischen Umwelt (Aufenthaltsorte, Uhrzeiten, Wetterbedingungen u.v.m.) mittels technischer Gerätschaften. Ziel ist, Erkenntnisse über diese Aspekte zu gewinnen und ein entsprechendes Selbstwissen aufzubauen. Die so gewonnenen Einsichten können Ausgangspunkt für eine gezielte Gestaltung von Veränderungsprozessen werden (George-Gaentzsch 2021).

Die Checkpoint-S-App setzt dieses Prinzip in Form unterschiedlicher digitaler Tagebücher um. Die aktuelle Version 6.3, die bereits im Google-Play-Store zum Download verfügbar ist, bietet die folgenden Funktionen (s. Abb. 1):

  1. Substitutionstagebuch zur Dokumentation der täglichen Einnahme des Substitutionsmittels in Bezug auf Dosis und Zeitpunkt. Zudem kann ein persönlicher Substitutionsplan in der App eingerichtet werden, wodurch eine reguläre Einnahme zukünftig nur noch bestätigt werden muss. Auch irreguläre Einnahmen lassen sich problemlos festhalten. In der zugehörigen Datenbank sind alle aktuell auf dem deutschen Markt erhältlichen Substitutionsmittel inklusive Depotmedikationen enthalten. Die App erinnert an die nächste Dosis, was insbesondere für Take-Home-Patient*innen sowie für Patient*innen, die Depotsubstitute erhalten, wichtig ist.
  2. Abb. 2

    Befinden-Tagebuch: In diesem Bereich können Patient*innen täglich ihr körperliches und emotionales Befinden beurteilen (Toll, Gut, Geht so, Mies) und festhalten, welche Gründe ihr aktuelles Befinden beeinflussen. Die Liste der Gründe kann durch den/die Nutzer*in selbstständig erweitert und um eigene Gründe ergänzt werden. Auf diesem Weg ist es möglich, die App zu individualisieren.

  3. Konsumdruck-Tagebuch: Hier lässt sich regelmäßig erfassen, wie stark oder schwach das Craving, d. h. das Bedürfnis, Drogen zu konsumieren, zum jeweiligen Zeitpunkt ist. Auch hier lassen sich Bewertungen in Bezug auf das Vorhandensein von Konsumdruck dokumentieren und individuelle Gründe dafür angeben (s. Abb. 2).
  4. Konsum-Tagebuch: Konsumieren Patient*innen während der Substitutionstherapie gelegentlich oder regelmäßig legale oder illegale Substanzen, kann das in diesem Bereich notiert werden. Das Konsum-Tagebuch erlaubt auch, Verhaltenssüchte wie Glückspiel, Kaufen oder Essen zu protokollieren. Da hier auch eigene ‚Substanzen‘ angelegt werden können, lässt sich das Konsum-Tagebuch nutzen, um die Einnahme verschriebener Medikamente wie etwa Schmerzmittel, Magen-Darm-Medikamente oder Psychopharmaka hinsichtlich Dosis und Zeitpunkt festzuhalten.
  5. Abb. 3

    Ziele-Tagebuch: Persönliche Ziele wie regelmäßig essen, Sport treiben oder spazieren gehen können in diesem Bereich definiert und die Umsetzung überwacht werden. Bei diesen Zielen kann es sich um eigene Vorhaben handeln oder auch um Ziele, die im Rahmen der Substitution, der Psychotherapie oder der psychosozialen Betreuung definiert wurden.

  6. Export- und Backup-Funktion: Die App verfügt schließlich über eine Exportfunktion, sodass Patient*innen ihre Daten ihren Behandler*innen zugänglich machen können. Ob die Daten geteilt werden oder nicht, ist allein den Patient*innen überlassen; ohne deren aktives Tun verbleiben die Daten auf dem persönlichen Handy und sind von Dritten nicht abrufbar. Auf der Projekt-Webseite https://checkpoint-s.de/ wird ein spezielles Excel-Sheet zum Download angeboten, das es ermöglicht, die exportierten Daten auf einfache Weise zu visualisieren und miteinander in Verbindung zu setzen. Wichtig wird, dass die App über eine Backup-Funktion verfügt, die es Nutzer*innen erlaubt, ihre Daten zu sichern.

Die einzelnen Tagebucheinträge und ausstehenden Ereignisse werden in der App in einer komfortablen Kalenderansicht dargestellt (s. Abb. 3). Eingegebene Daten lassen sich als Diagramme visualisieren, wodurch zeitliche Verläufe erkennbar werden. Zusätzliche Kreisdiagramme informieren über Verhältnismäßigkeiten, etwa welches die häufigsten dokumentierten Gründe für ein „mieses“ Befinden sind. Die Visualisierungen sollen den Nutzer*innen ermöglichen, einfacher persönliche Einsichten über sich und ihre Erkrankung zu gewinnen und ggf. eigene Problembewältigungsstrategien zu entwickeln (s. Abb. 4).

Abb. 4

Zurzeit arbeitet das Projektteam an der Entwicklung und Implementierung einer Erinnerungsfunktionalität. Mittels selbstgesetzter Reminder können Nutzer*innen sich etwa daran erinnern lassen, regelmäßige Eintragungen in den Tagebüchern zu tätigen, oder sie können sich bestimmte alltägliche Zielvorgaben, wie beispielsweise regelmäßig zu essen, ins Gedächtnis rufen.

Die Vorteile der App für Patient*innen, Klient*innen und Behandler*innen

Folgende Vorteile ergeben sich für Patient*innen durch die Nutzung der Checkpoint-S-App:

  1. Ermöglichen von Selbstreflexion, Selbstwissen und Selbstexpertisierung: Für Patient*innen bietet sich die Chance, sich selbstinitiiert und eigenmotiviert ein besseres Verständnis für den Behandlungsprozess im Sinne einer bio-psycho-sozialen Gesamtentwicklung erarbeiten zu können. Mit der selbstinitiierten Sammlung körperlicher und psychischer Daten soll zu einer regelmäßigen, aktiven und bewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, dem Verhalten und dem psychischen Befinden angeregt werden. Auf diesem Wege können Nutzer*innen ihre individuelle Erkrankung sowie positive und negative Einflussfaktoren auf die persönliche Entwicklung besser verstehen lernen. Dergestalt werden sie zu Expert*innen ihrer persönlichen Erkrankung sowie ihrer Bedürfnisse und Probleme.
  2. Steigerung der Eigenverantwortung und Patient*innen-Autonomie: Durch das Angebot der Reflexion und Dokumentation sollen Patient*innen motiviert und befähigt werden, sich als informierte Partner*innen in die Gestaltung der Behandlung und Betreuung einzubringen – ein Fakt, der gleichzeitig die therapeutischen Kriterien Compliance und Haltekraft stärkt.
  3. Kontinuierliche Unterstützung: Die App möchte Nutzer*innen zu einer konstanten Datensammlung und Auseinandersetzung mit den Daten bewegen – zukünftig sollen Push-Benachrichtigungen dieses Ziel unterstützen. Dies wiederum kann zu einem Impulsgeber für die Entwicklung von persönlichen Zielen sowie von Lösungsstrategien bei Suchtdruck, Konsum und anderen Krisensituationen werden.
  4. Informations- und Wissensvermittlung: Den Patient*innen soll in Form von gut recherchierten und fachlich geprüften Informationen und Tipps eine bedarfsgerechte, jederzeit verfügbare, kleinschrittige und individuelle Unterstützung in Alltag und Beruf geboten werden. Diese Informationsvermittlung erfolgt über den Bereich Wissenswelt auf der Projekt-Webseite. In diesem Sinne sind die App und die Webseite als eine Einheit zu verstehen.
  5. Inklusion: Mit den genannten Zielsetzungen lässt sich ein Stück Barrierefreiheit und Teilhabe für eine vulnerable und vielfach benachteiligte Patient*innengruppe schaffen, die ansonsten nicht nur vom digitalen Wandel im Gesundheitsbereich ausgeschlossen bliebe. Ihr Ausschluss aus diesen Entwicklungen würde auch zu einer weiteren sozialen Benachteiligung führen.

Die App soll eine digitale Therapiebegleitung sein, die sowohl den Patient*innen als auch deren Behandler*innen zugutekommt. Die Vorteile, die die Checkpoint-S-App Substitutionsärzt*innen, Psychotherapeut*innen und Sozialarbeiter*innen bieten kann, sind nach jetzigem Forschungsstand des Projekts:

  1. Vereinfachung von Diagnostik, Therapie und Beratung: Indem die Daten im Alltag der Patient*innen gesammelt und dokumentiert werden, erhalten Behandler*innen ein genaueres Bild von Symptomen und Alltagsproblemen. Wenngleich es sich hierbei nur um ‚weiche‘ – weil subjektiv gefärbte – Daten handelt, können diese doch wichtige Anhaltspunkte für die Therapieplanung liefern und auch dabei helfen, Erinnerungslücken auf Seiten der Patient*innen zu füllen.
  2. Individualisierung von Therapie und Beratung: Auf Basis der gesammelten Daten und der gemeinsamen Auswertung mit dem/der Patient*in kann es leichter möglich werden, Therapie und Beratung auf die jeweils individuellen Bedürfnisse zuzuschneiden und zielgerichteter zu planen – ein Fortschritt, der die Erfolgsaussichten deutlich verbessern kann.
  3. Arbeits- und Zeitersparnis: Aus einer zwar vereinfachten, aber umfassenderen Diagnostik, den erweiterten Individualisierungsmöglichkeiten und nicht zuletzt durch Befähigung und Stärkung der Patient*innen ergibt sich für deren Behandler*innen eine Ersparnis an Arbeit und Zeit.

Anwendungsfelder der Checkpoint-S-App innerhalb und außerhalb der Substitution

Ist ein/e Nutzer*in bereit, die Daten aus Checkpoint-S mit seinen/ihren Behandler*innen (Allgemeinmediziner*innen und Substitutionsärzt*innen, Psycholog*innen, Psychotherapeut*innen oder Sozialarbeiter*innen) zu teilen, können beide Seiten profitieren. Hierdurch eröffnen sich Möglichkeiten, Therapie und Betreuung zu individualisieren, negativen Entwicklungen frühzeitig entgegenzuwirken sowie positive Tendenzen zu unterstützen. Die App ermöglicht, Therapie und Beratung im Sinne eines Shared-Decision-Making zu gestalten. Gestützt auf bisher vorliegende empirische Erkenntnisse lassen sich nachfolgende Anwendungsfelder der App innerhalb der Substitutionstherapie erkennen: 

  • Einstellung des Substituts, Dosissplitting und Abdosierung: Durch die regelmäßige Dokumentation der Einnahme des Substituts lässt sich erschließen, ob, wann und in welcher Dosis der/die Patient*in das verschriebene Substitut eingenommen hat. Wird parallel dazu das Konsumdruck-Tagebuch geführt, können Substitutionsärzt*innen die Daten nutzen, um zu überprüfen, ob ihr/e Patient*in richtig eingestellt ist. Werden zudem die Daten aus dem Befinden-Tagebuch einbezogen, lassen sich potenzielle Nebenwirkung und Unverträglichkeiten identifizieren. Auf diesem Wege ist es möglich, die Dosis des Substituts gezielt und individuell anzupassen oder zu entscheiden, ob vielleicht ein anderes Substitut besser geeignet sein könnte. Auch bei einem Dosissplitting von Take-Home-Patient*innen können die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Einzeldosen geprüft und gezielt Anpassungen vorgenommen werden. Des Weiteren kann eine kontinuierliche Abdosierung des Substituts anhand der App-Daten systematisch begleitet und bei Problemen zeitnah gegensteuert werden.
  • Einstellung und Kontrolle weiterer Medikamente: Nimmt ein/e Patient*in regelmäßig weitere Medikamente (z. B. Schmerz-, Magen-Darm-Mittel oder Psychopharmaka), kann deren Einnahme mittels Konsum-Tagebuch dokumentiert und überprüft werden. In Kombination mit Daten aus dem Befinden-Tagebuch lassen sich Rückschlüsse in Bezug auf die korrekte Dosiseinstellung sowie auf mögliche unerwünschte körperliche oder psychische Nebenwirkungen ziehen. Werden innerhalb substitutionstherapeutischer Interventionen auch die Eintragungen im Substitutionstagebuch hinzugezogen, ist auf diesem Wege möglicherweise zu erkennen, ob es negative Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und dem Substitut gibt. In der Folge können Dosierungen und Einnahmezeitpunkte angepasst oder es kann über einen Wechsel der Medikamente entschieden werden.
  • Dokumentation von Begleit- und Folgeerkrankungen: Die meisten Menschen in Substitutionsbehandlung haben einen multimorbiden Gesundheitszustand. Vor allem durch das Befinden-Tagebuch lassen sich Symptome – etwa chronische Schmerzen oder andere Beschwerden – sowie individuelle Krankheitsverläufe systematisch dokumentieren. Auf dieser Basis können therapeutische Ansätze und Medikamente angepasst werden.
  • Falldokumentation: Die exportierten Daten der Checkpoint-S-App lassen sich in den Excel-Sheets gemeinsam in einer Grafik visualisieren. Zusammenhänge sind so leichter erkennbar. Die Export-Datei kann deshalb auch ein wichtiges Hilfsmittel für die Falldokumentation der Behandler*innen sein, weil auf diese Weise Verläufe sowie Zeitpunkte und Erfolge von therapeutischen Interventionen genau nachvollzogen werden können.
  • Identifikation von Triggern und psychischen Leiden: Wird das Befinden-Tagebuch regelmäßig genutzt und werden für das jeweilige Befinden auch die Gründe notiert, lassen sich bestimmte Auslöser (Trigger) für positive oder negative Gefühlslagen identifizieren. Damit können Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen erkennen, welche Verhaltensweisen sich vorteilhaft auf therapeutische Ziele auswirken und an welchen gemeinsam gearbeitet werden sollte. Bei einer längerfristigen Nutzung lassen sich bestimmte Verhaltensmuster erkennen, die erlauben präventiv einzugreifen, um etwa das Aufkommen depressiver Phasen zu vermeiden.
  • Konsummuster erkennen und verändern: Eine klassische Aufgabe therapeutischer Interventionen und psychosozialer Betreuung ist, Konsummuster für legale und illegale Substanzen sowie Muster von Verhaltenssüchten zu erkennen. Wichtige Informationen dazu kann das Konsum-Tagebuch liefern. Werden der Konsum oder exzessive Verhaltensweisen hier regelmäßig festgehalten, lassen sich solche Muster schnell erkennen. Kombiniert man diese Daten mit denen aus dem Befinden-Tagebuch, ergibt sich ein dezidiertes Bild über mögliche Auslöser und Kompensationsstrategien.
  • Problemfelder erkennen und Ressourcen aufbauen: Führt ein/e Nutzer*in neben dem Substitutionstagebuch auch regelmäßig das Befinden-Tagebuch, das Konsumdruck-Tagebuch und das Konsum-Tagebuch, ergibt sich ein komplexes Bild über wiederkehrende problematische Zusammenhänge. Beispielsweise wird so ersichtlich, ob der Aufenthalt an bestimmten Orten einen hohen Konsumdruck oder der Kontakt mit bestimmten Personen eine Stressreaktion auslöst. Auf Basis dieses Wissens können Behandler*in und Patient*in gemeinsam Problemlösungsstrategien erarbeiten, wie sich diese Risikosituationen zukünftig vermeiden lassen.
  • Ziele vereinbaren und verfolgen: Mit dem Ziele-Tagebuch der Checkpoint-S-App können etwa im Rahmen der psychosozialen Betreuung unterschiedlichste Ziele bestimmt und deren Umsetzung im Alltag verfolgt werden. So könnten bei einem Wunsch nach Konsumreduktion beispielsweise konsumfreie Tage oder wöchentlich wiederkehrende Routinen definiert werden. Beim nächsten Termin mit dem/der Klient*in ließe sich anhand der Daten gemeinsam besprechen, inwieweit Ziele umgesetzt werden konnten oder wo es Probleme gab.

Die Anwendungsfelder der Checkpoint-S-App sind nicht auf Substitution beschränkt. Es lassen sich schon jetzt einige Off-Label-Uses im Kontext unterschiedlicher Formen von Sucht- sowie chronischer Erkrankungen erkennen. So ist Checkpoint-S auch für die Dokumentation bestimmter Verhaltenssüchte wie Glückspiel, Videospielen, Kaufen oder Essen geeignet. Außerdem kann die App im privaten Bereich eingesetzt werden. Dies betrifft den so genannten Party- und Freizeitkonsum legaler und illegaler Drogen, den Substanzgebrauch zur Leistungssteigerung in Schule, Universität und Beruf oder aber den Gebrauch bestimmter Substanzen als eine Form der Selbstmedikation bei physischen oder psychischen Leiden. Weitere Nutzungsszenarien der Checkpoint-S-App werden die Ergebnisse des Praxistests aufdecken, der im Juli 2021 beendet wurde.

Fazit

Die Checkpoint-S-App bietet für Menschen in Substitution die Möglichkeit, sich selbst, ihre individuelle Erkrankung und ihre speziellen Problemfelder und Bedürfnisse besser zu verstehen. Auf diesem Wege können sich motivierte und emanzipierte Patient*innen aktiv in die Gestaltung von Therapie und psychosozialer Betreuung einbringen. Sind Nutzer*innen bereit, die Daten mit ihren Behandler*innen zu teilen, können auch diese auf vielfältige Art und Weise einen Nutzen aus der App ziehen. Die App kann so ein wichtiges Tool der Therapiebegleitung und der Therapievorbereitung bzw. der Überbrückung bis zum Therapiebeginn sein. Sie kann genutzt werden, um bis zum Freiwerden eines Therapieplatzes bereits relevante Informationen zu sammeln, den/die Patient*in zur Selbstreflexion anzuregen oder bestimmte Ziele zu verfolgen.

Zusätzlich zu allen genannten Vorteilen hat die aktuelle Corona-Krise die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Entwicklung kontaktarmer, mobiler Formen der Therapiebegleitung verdeutlicht. Insbesondere für Risikogruppen wie ältere, komorbide und/oder chronisch kranke Patient*innen werden derartige digitale Ansätze zukünftig wichtig werden. Die Checkpoint-S-App kann bereits heute dazu beitragen, für substituierte Menschen lebensbedrohliche Versorgungs- und Therapieabbrüche in Folge von Kontaktbeschränkungen, Praxisschließungen oder persönlichem Quarantänefall etwas zu kompensieren. Positiv gewendet sind die mit Corona verbundenen Entwicklungen auch ein Schritt zu mehr Normalität für Substitutionspatient*innen, die bisher stark geregelten und kleinteilig kontrollierenden Behandlungsroutinen ausgesetzt sind.

Unabhängig von einer Substitutionsbehandlung bietet Checkpoint-S ein breites Anwendungspotenzial auch für Psychotherapie oder Beratungen. Weitere Anwendungskontexte der Checkpoint-S-App sehen die Forscher*innen auch in der Allgemeinmedizin. Nach Auswertung des Praxistests werden sie dazu berichten.

Kontakt:

Dr. Lars George-Gaentzsch
CheckPoint-S Projektteam
Hochschule Merseburg, University of Applied Sciences
Eberhard-Leibnitz-Straße 2
06217 Merseburg
checkpoint-s@hs-merseburg.de
www.checkpoint-s.de

Angaben zu den Autor*innen:

Dr. phil. Lars George-Gaentzsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt Checkpoint-S und kümmert sich im Wesentlichen um die Konzeption des Forschungsdesigns, die Durchführung und Auswertung der empirischen Erhebung sowie die theoretische Übersetzung der Forschungsergebnisse in Design und Funktionen der Checkpoint-S-App.
Prof. Dr. habil. Gundula Barsch ist Projektleiterin und Impulsgeberin des Forschungsprojekts. Seit vielen Jahren arbeitet sie als Dozentin und Forscherin an der Hochschule Merseburg im Fachbereich Soziale Arbeit. Medien. Kultur. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt im Bereich „Drogen und Soziale Arbeit“.
Dipl.-Soz.päd. Scarlett Wiewald ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt und Dozentin an der Hochschule Merseburg. Neben der praktischen Konzeption der Inhalte und des Designs der App gemeinsam mit den Software-Entwicklern pflegt sie die Kontakte zu den Behandler*innen und Patient*innen und managt den Transfer der App in die Praxis.

Literatur: