Dr. Jens Hinrichs, Dr. Anne-Kathrin Exner, Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann

Der Science Circle

Dr. Jens Hinrichs

Dr. Jens Hinrichs

Dr. Anne-Kathrin Exner

Dr. Anne-Kathrin Exner

Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann. Foto: Wilfried Gerharz

Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann. Foto: Wilfried Gerharz

Der Science Circle wurde 2012 unter dem damaligen Namen „Zukunftsworkshop“ durch Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann und Dr. Anne-Kathrin Exner ins Leben gerufen, um die Vernetzung und den Austausch zwischen Forschenden aus verschiedenen Disziplinen und Praktikern verschiedener Professionen aus der Rehabilitation zu fördern. Mittlerweile hat sich die Gründungsidee bestätigt: Die Qualität der Rehabilitationsforschung wird mithilfe des Science Circles durch gezielte Projektentwicklungen und die Nutzung gemeinsamer Ressourcen und Potenziale verbessert (Menzel-Begemann & Exner 2013). Seit 2014 ist die Innovationswerkstatt offiziell eine Arbeitsgruppe des Nordrhein-Westfälischen Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften.

Was führte zu der Idee?

sc_logoDas Feld der Rehabilitationswissenschaften ist im Vergleich zu anderen Wissenschaftsdisziplinen überschaubar. Viele forschende Kollegen (im Sinne einer besseren Lesbarkeit des Textes wird durchgängig die männliche Form verwendet, wobei jeweils beide Geschlechter impliziert sind) kennen und schätzen sich mitunter schon über Jahre, jedoch findet Forschung häufig relativ unverbunden im Rahmen von Projekten und an unterschiedlichen Standorten statt. Zu welchen Themen geforscht wird oder welche Kompetenzen und Forschungsschwerpunkte die Kollegen mitbringen, bleibt vage, und ein Austausch findet meist nur auf Fachtagungen statt. Besonders unter den Kollegen, die auch regional im Einzugsbereich der Deutschen Rentenversicherungen (DRV) Westfalen, Rheinland und Knappschaft-Bahn-See zusammenarbeiten, wurde dieser Umstand oft als unbefriedigend erlebt.

Neben der Vernetzung der Forschenden untereinander war von Beginn an auch wichtig, dass Praktiker aus der medizinischen und beruflichen Rehabilitation und Vertreter der Rentenversicherung von einer gemeinsamen ‚Ideenwerkstatt‘ angesprochen werden. Der Grund hierfür ist einfach: Über die Jahre haben sich zum Teil gute Kontakte zu Praktikern entwickelt, die Interesse haben, Themen mit den Forschenden zusammen anzustoßen. Und gerade die Impulse derjenigen, die direkt mit Rehabilitanden im Versorgungssystem arbeiten, sind besonders wichtig, da sie neue Forschungsbedarfe anhand eigener Erfahrungen aufzeigen. Zusammen mit Forschenden und Vertretern der Leistungsträger können diese Beobachtungen im Science Circle diskutiert und konkretisiert und gemeinsam in Projekte umgesetzt werden.

Welchen Nutzen hat der Science Circle für die Beteiligten?

Vernetzung

Das persönliche Kennenlernen der Teilnehmer, die aus verschiedenen Berufsgruppen kommen und in unterschiedlichen Funktionen an gemeinsamen Forschungsideen arbeiten, ist sicherlich einer der wichtigsten Zugewinne im Rahmen des Science Circles. Die dabei entstehenden neuen Kontakte schaffen Vernetzung zwischen Universitäten, Fachhochschulen, Instituten, Rehabilitationseinrichtungen (Leistungserbringern) und Leistungsträgern. Diese Vernetzung bildet die Grundlage einer guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit innerhalb der Projekte, die auch außerhalb des Science Circles geschätzt und genutzt wird.

Gestaltungsmöglichkeiten

Die Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Praktikern bietet einen Gestaltungsraum für bedarfs- und bedürfnisgerechte Forschung, d. h., es können Themen aufgezeigt werden, die unmittelbar an der Versorgungsrealität der Kliniken, ihren Mitarbeitern und nicht zuletzt den Patienten liegen. Es eröffnen sich so Möglichkeiten, Forschungsbedarfe aus Sicht der Leistungserbringer zu formulieren, und diese bilden eine ideale Ergänzung zu den Trendvorgaben der DRV und den Themenschwerpunkten beteiligter Forschungseinrichtungen. Jeder Teilnehmer, ob aus Forschung oder Praxis, kann die Federführung innerhalb einer Projektentwicklung übernehmen. Außerdem gilt, dass unkonventionelle, vielleicht auch noch unklare Ideen in die Gruppe eingebracht und aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden können. Diese Gedankenfreiheit innerhalb eines relativ engen Rahmens, den die vorgegebenen Rehabilitationsstrukturen mit sich bringen, macht den besonderen Reiz des Science Circles aus.

Transfer

Die Beteiligung an Forschung beinhaltet – besonders aus Sicht der Praktiker – einen zusätzlichen Aufwand an Zeit und Personal. Jedoch können erfolgreich durchgeführte Projekte und die resultierenden Ergebnisse einen wertvollen Beitrag für die Praxis leisten. Mitarbeiter aus teilnehmenden Kliniken erhalten je nach Art des Projektes Einblicke in neue Verfahren und Methoden in der Rehabilitation und Rehabilitationsforschung. Die Erfahrungen und Erkenntnisgewinne können nützlich bei der Gestaltung und Verbesserung eigener Klinikprozesse (z.  B. im Sinne von Qualitätssicherung) sein oder auch Antworten auf Grundsatzfragen in der Rehabilitation geben (z. B. bei Fragen der Zugangs- und Therapiesteuerung).

Beispiel eines gelungenen Transfers ist der Fragebogen „Diagnostik von Arbeitsmotivation“ (DIAMO; Fiedler et al. 2005). Er wurde in einer gemeinsamen Studie der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster, der Deutscher Orden Ordenswerke, Suchthilfe, Weyarn und der Klinik am Park, Medizinisches Zentrum für Gesundheit Bad Lippspringe auf die Anwendbarkeit in der Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankten untersucht. Die Studienfrage wurde von den Praktikern aufgeworfen, die nach Alternativen in der Eingangsdiagnostik der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR) von Suchterkrankten suchten. Die Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften e. V. NRW folgte der Forschungsfrage und förderte das Projekt nach positiver Begutachtung (GfR 2014). Bereits während der Durchführung des Projekts konnten die Mitarbeiter der teilnehmenden Kliniken und Einrichtungen praktische Erfahrungen mit dem Instrument sammeln und diese bewerten. Durch die Aufnahme des DIAMO-Fragebogens in die BORA-Empfehlungen fand ein erfolgreicher Transfer in die Praxis der Suchtrehabilitation statt. Die geplante Publikation der Forschungsergebnisse wird den wissenschaftlichen Transfer abschließen.

Abbildung 1: Bereiche, die durch den DIAMO-Fragebogen abgefragt werden

Abbildung 1: Bereiche, die durch den DIAMO-Fragebogen abgefragt werden

Wie sind die Treffen organisiert?

Die Treffen des Science Circles finden dreimal im Jahr an unterschiedlichen Standorten in Nordrhein-Westfalen statt. Sie starten in der Regel donnerstagvormittags und enden samstagmittags. Diese Zeit wird intensiv dafür genutzt, in moderierten Gruppen und im Plenum an rehabilitationsbezogenen Themen und Projekten zu arbeiten. Es werden hierzu regelmäßig Experten als Gastredner eingeladen, die zu ausgewählten Themen Impulsreferate halten und mit den Teilnehmern diskutieren.

Wer wirkt am Science Circle mit?

Der Science Circle ist ein offenes Angebot, an dem alle Interessierten, die mit Reha befasst sind, nach rechtzeitiger Anmeldung mitwirken können. Die Veranstaltungen des Science Circles haben bereits zu einer guten Resonanz geführt, die Teilnehmer setzen sich mittlerweile aus Rehabilitationsforschern der Universitäten Bielefeld, Hannover und Chemnitz, des Universitätsklinikums Münster, der Fachhochschulen Münster und Bielefeld, der Deutschen Sporthochschule Köln und des Instituts für Rehabilitationsforschung Norderney sowie aus Mitarbeitern verschiedener medizinischer und beruflicher Rehabilitationseinrichtungen und den Forschungsreferenten der Deutschen Rentenversicherungen Westfalen und Rheinland zusammen.

Arbeitsgruppen und Projekte aus dem Science Circle

Eine Arbeitsgruppe bearbeitet übergeordnete Themenfelder, die in der Rehabilitation bedeutsam sind, aber nicht direkt in ein Projekt münden sollen. Folgende Arbeitsgruppen haben sich bisher gebildet:

  • der „Inner Circle“ als ein Gremium, das die regelmäßig Teilnehmenden umfasst und die fortlaufende Diskussion und Bearbeitung von speziellen Themen ermöglicht, z. B. die Gestaltung eines gelungenen wechselseitigen Transfers zwischen Forschung und Praxis in der Rehabilitation,
  • die Arbeitsgruppe „Relevante Effekte und Signifikanzen in der Rehabilitationsforschung“, die sich mit der Frage befasst, wann Forschungsergebnisse eine für die Praxis klinische Relevanz haben (Leitung: Dr. Odile Sauzet),
  • die Arbeitsgruppe „Transferförderung – Veranstaltung“, die sich mit der Gestaltung und Organisation eines Veranstaltungsformates zur Förderung von Transfer befasst, in dem ein aktiver Austausch zwischen Forschenden, Trägern und Praktikern stattfinden kann (Leitung: Jochen Heuer, Philipp Pressmann).

Soll die Bearbeitung von Themen über eine geordnete Antragstellung in ein drittmittelgefördertes Projekt münden, werden Projektarbeitsgruppen gebildet, an denen sich jeder Interessierte beteiligen kann. Folgende geförderte Projekte sind aus dem Science Circle hervorgegangenen:

  • Verfügbarkeit und Verwendung von Arbeitsplatzbeschreibungen in der Rehabilitation (OpAA) (Projektleitung: Jochen Heuer; Förderer: Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung e. V. Norderney)
  • Bedeutung von Umweltfaktoren in der medizinischen Rehabilitation zur Förderung von Teilhabe (UfaR) (Projektleitung: Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann, Prof. Dr. Thorsten Meyer; Förderer: Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften NRW e. V.)
  • Resilienzförderung im Reha-Prozess: Entwicklung einer verhaltens- und verhältnisorientierten Intervention (InResPro) (Projektleitung: Dr. Jens Hinrichs, Prof. Dr. Thomas Altenhöner; Förderer: Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften NRW e. V.)

Folgende Vorhaben sind in Vorbereitung auf eine Antragstellung zur Drittmittelförderung:

  • Verhaltens- und verhältnisorientierte Nachsorge (Projektleitung: Dr. Andrea Schaller)
  • Qualitative Analyse von Faktoren des Erfolgs einer medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (QAFE-MBOR) (Projektleitung: Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann, Prof. Dr. Thorsten Meyer)
  • Spezifizierung von MBOR-Bedarfen (Projektleitung: Dipl.-Psych. Johanna Frieler)
  • Wissenschaftsnetzwerk „Internationale Rehabilitationsforschung“ (Projektleitung: Jun.-Prof. Dr. Patrick Brzoska)

Wie können Interessierte am Science Circle mitwirken?

Für die Mitwirkung am Science Circle wird Freude am Austausch und an der Zusammenarbeit mit anderen Forschungsinteressierten zur (Weiter-)Entwicklung von Themen und Projekten vorausgesetzt. Eine personelle Einbindung in Forschungsprojekte, die bei der Rentenversicherung zur Förderung vorgelegt werden, ist nicht zwingend, aber möglich. Wer Interesse zur Mitwirkung im Science Circle hat, kann Kontakt zu den Autoren dieses Beitrags aufnehmen. Ebenso besteht die Möglichkeit, den Newsletter zu abonnieren, der über die Aktivitäten des Science Circles und Veranstaltungstermine informiert.

Weitere Informationen über den Science Circle finden Sie unter: http://www.sciencecircle.de/

Kontakt und Angaben zu den Autor/-innen:

Dr. rer. medic. Jens Hinrichs, Dipl.-Psych.
Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie
Universitätsklinikum Münster
Domagkstr. 22
48149 Münster
jens.hinrichs@ukmuenster.de
http://psychosomatik.klinikum.uni-muenster.de
http://zazo-i.de

Dr. Jens Hinrichs (*1972) schloss 2005 das Studium der Psychologie mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Osnabrück ab. Seit 2007 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Münster. Er promovierte zum Thema berufsspezifischer Belastungen von Polizeibeamten in NRW. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Ressourcen- und Motivationsdiagnostik und in der Entwicklung von Interventionen zur Förderung von beruflicher Motivation und Resilienz.

Dr. Anne-Kathrin Exner, M.Sc. PH
Fakultät für Gesundheitswissenschaften
AG3: Epidemiologie und International Public Health
Universität Bielefeld
Postfach 100131
33501 Bielefeld
aexner@uni-bielefeld.de
http://www.uni-bielefeld.de/gesundhw/ag3/projekte/05a_reha.html

Dr. Anne-Kathrin Exner (*1982) schloss 2005 den Bachelorstudiengang Ökotrophologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und 2008 das Masterstudium Public Health an der Universität Bielefeld ab. Seit 2009 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Methodenberatung des NRW-Forschungsverbunds Rehabilitationswissenschaften an der Universität Bielefeld. Sie promovierte zum Thema Ernährungs- und Sportverhalten bei Frauen mit Brustkrebs nach Abschluss einer medizinischen Rehabilitation. Interessen in den Rehabilitationswissenschaften sind der Forschungs-Praxis-Transfer und regionale Vernetzung.

Prof. Dr. rer. nat. Anke Menzel-Begemann, Dipl.-Psych.
Fachhochschule Münster
Fachbereich Pflege und Gesundheit
Lehr- und Forschungsgebiet Rehabilitationswissenschaften
Leonardo-Campus 8
48149 Münster
menzel-begemann@fh-muenster.de

Anke Menzel-Begemann (*1972) studierte Psychologie an der Universität Bielefeld mit dem Schwerpunkt Neuropsychologie, arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der psychologischen (2002–2006) und gesundheitswissenschaftlichen (2010–2014) Fakultät sowie in der neurologischen Abteilung einer Rehabilitationsklinik. In ihrer Promotion entwickelte sie Diagnoseverfahren für Planungs- und Organisationsstörungen nach Hirnschädigungen. Seit 2015 ist sie Professorin für Rehabilitationswissenschaften an der Fachhochschule Münster. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Förderung von Teilhabe und Selbstmanagement, was u. a. in Konzepte zur medizinisch-beruflichen Orientierung und zur Vorbereitung auf die häusliche Pflege mündete.

Literatur:
  • GfR e.V. NRW (2014) Förderprojekt: Diagnostik von Arbeitsmotivation: Eine indikationsspezifische Validierung des DIAMO-Fragebogens im Bereich der Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankten (FKZ: 13005)
  • Fiedler R.G., Ranft A., Schubmann C., Heuft G., Greitemann B. (2005) Diagnostik von Arbeitsmotivation in der Rehabilitation – Vorstellung und Befunde zur faktoriellen Struktur neuer Konzepte. Psychother Psych Med, 55: 476-482. (Online-Demo: http://diamo.zazo-i.de/)
  • Menzel-Begemann A., Exner A.-K. (2013) Rehabilitationsforschung in Nordrhein-Westfalen – Ergebnisse aus dem Zukunftsworkshop des NRW-Forschungsverbundes Rehabilitations-wissenschaften am 28.06.2012 in Bielefeld und 19.10.2012 in Münster (Westfalen). Rehabilitation, 52: 424-427