Eine Einordnung aus Sicht von Ingo Ilja Michels und Heino Stöver
Überfällig: Zum verabschiedeten Cannabisgesetz (CanG)
Im Koalitionsvertrag von 2021 verabredete die gegenwärtige Regierungskoalition, die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene in lizenzierten Fachgeschäften einzuführen. Im Verlauf der Umsetzung dieser Vereinbarung entstand eine heftige Auseinandersetzung über das Warum und Wie. Der Kern dieses Konflikts war, dass mit Cannabis zum ersten Mal eine Substanz aus dem Verbot im Betäubungsmittelgesetz herausgelöst und als Freizeitdroge legalisiert wird. Zwar gibt es Cannabis bereits seit 2017 als verschreibungspflichtiges und erstattungsfähiges Therapeutikum (ebenso wie Diacetylmorphin, d. h. Heroin, seit 2010), aber eben nicht als Droge zum Genuss, sondern als Medikament gegen Schmerzen und andere Störungsbilder.
Dieser Paradigmenwechsel hat vielfache Ängste und Befürchtungen in Fachkreisen und in der Allgemeinbevölkerung ausgelöst: Die Zahl der Cannabiskonsumierenden könne insgesamt steigen, v. a. unter Jugendlichen, ebenso die Zahl der Beratungs- und Behandlungssuchenden, die Wirkung der Droge werde verharmlost etc. Das Bundesgesundheitsministerium hat viele dieser Ängste im Sommer 2022 aufgegriffen und in Fachdebatten versucht, Antworten zu finden – nur die Allgemeinbevölkerung ließ man in einem Gewirr von Behauptungen, Zahlen und Argumenten allein und desorientiert zurück.
Angesichts europarechtlicher Bedenken gegenüber der ursprünglich intendierten legalen Abgabe von Cannabis in lizenzierten Fachgeschäften ist nun ein Zwei-Säulen-Modell entstanden. Die Koalitionsfraktionen haben sich Ende November 2023 auf eine abschließende Fassung des Gesetzes über die Legalisierung von Cannabis verständigt. Das Gesetz ist am 01.04.2024 in Kraft getreten.
Der ursprüngliche Plan, Cannabis auch in lizenzierten Fachgeschäften zum Verkauf anzubieten (Säule 2), wird zunächst nicht umgesetzt. Zum 01.07.2024 können Anbauvereinigungen gegründet werden (Säule 1). Zum Schutz von Konsument:innen soll die Qualität von Cannabis kontrolliert und die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert werden. Der Besitz von bis zu 50 Gramm aus dem privaten Eigenanbau durch Erwachsene sowie der gemeinschaftliche, nichtgewerbliche Eigenanbau in Anbauvereinigungen („Cannabis Social Clubs“) soll erlaubt sein. Die Strafbarkeit soll im privaten Raum erst ab 60 Gramm greifen. Im öffentlichen Raum, wo Erwachsene bis zu 25 Gramm Cannabis bei sich haben dürfen, beginnt die Strafbarkeit bei 30 Gramm. Zwischen 50 und 60 Gramm im privaten Raum und 25 und 30 Gramm im öffentlichen Raum gilt der Besitz von Cannabis als Ordnungswidrigkeit.
In Fachkreisen herrscht in großen Teilen Einigkeit darüber, dass die seit Jahrzehnten praktizierte Prohibition mit ihrem strafrechtlichen Kontrollregime nicht nur die eigenen Ziele (Schutz der Volksgesundheit und eine generalpräventive Wirkung) verfehlt hat, sondern dass sich – ganz im Gegenteil – die gesundheitliche und soziale Lage von Menschen, die psychotrope Substanzen (auch Heroin, Kokain/Crack) konsumieren, durch Strafbarkeit und einen unkontrollierten illegalen Markt deutlich verschlechtert hat. Daher ist aus gesundheitspolitischen, kriminalpolitischen, rechtsstaatlichen und nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen der o.g. Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik dringend geboten. Mit der zukünftigen Straffreiheit des Erwerbs und Besitzes von Cannabis für den Eigenbedarf sowie mit der Zulassung von Anbauvereinigungen hat der Gesetzgeber endlich in einem ersten Schritt die Konsequenzen daraus gezogen, dass das Drogenstrafrecht mehr Schaden als Nutzen gebracht hat.
Dass das jetzt verabschiedete Gesetz weit hinter der ursprünglichen Zielsetzung des Koalitionsvertrages zurückbleibt, ist eine dringende Aufforderung, weiterzudenken und einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen für einen regulierten, staatlich kontrollierten Markt (Säule 2), der unter Gesichtspunkten des Jugend- und Verbraucherschutzes organisiert wird.
Dieser erste Schritt zur Legalisierung von Cannabis sollte der Startpunkt für eine evidenzbasierte, wissenschaftsorientierte Drogenpolitik sein, die ein 100 Jahre altes
Opium-/Betäubungsmittelgesetz und dessen Durchsetzung mit den Mitteln des Strafrechts ablöst: „The Times They Are a-Changin“.
Drogenpolitik im Umbruch
Die Drogenpolitik in Bezug auf Cannabis befindet sich weltweit in einem Umbruch. Viele Staaten bewerten die politische Fokussierung auf das polizeilich umzusetzende Drogenverbot als nicht mehr zeitgemäß und vor allem als nicht effektiv und effizient und haben Neuregulierungen geschaffen. Dies hat zu einer Erosion des internationalen Drogenverbots (siehe Barop 2023) mit vielen Sonderregelungen jenseits der drei Suchtstoffübereinkommen der Vereinten Nationen geführt (EMCDDA 2002/2023; FES 2015; akzept 2022).
Auch in Deutschland bestand eine langjährige Opposition gegenüber Drogenverboten, besonders in Bezug auf Cannabis. Vor dem Hintergrund, dass der Cannabiskonsum in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, forderten die Parteien im Bundestag (bis auf die Fraktionen CDU/CSU und AFD) seit einigen Jahren drogenpolitische Veränderungen in Richtung Entkriminalisierung und sogar Legalisierung. Als schließlich SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen im November 2021 die Regierungsverantwortung übernahmen, beschlossen sie im Koalitionsvertrag eine Legalisierung im Umgang mit Cannabis.
Der folgende Beitrag, der in voller Gänze als PDF-Datei heruntergeladen werden kann, befasst sich kurz mit den historischen Hintergründen, versteht sich aber vor allem als eine Chronologie der jüngeren Veränderungen im Umgang mit Cannabis und den Menschen, die es konsumieren.
Kompletter Artikel zum Download
Anm. d. Redaktion: Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung der Verfasser wieder und entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion.