Einschätzungen von Expert:innen aus der Praxis
Am 1. September 2020 ist ein neues Psychotherapeutengesetz in Kraft getreten. Seit dem Wintersemester 2020/21 ist es möglich, die Universität nach einem fünfjährigen Studium mit dem Masterabschluss „Klinische Psychologie und Psychotherapie“ und mit Approbation zu verlassen. Daran kann sich eine Weiterbildung zum / zur Fachpsychotherapeut:in anschließen (KONTUREN berichtete).
Ab 2024 werden mit steigender Anzahl approbierte Psychotherapeut:innen von den Universitäten abgehen und ihre Weiterbildung zum / zur Fachpsychotherapeut:in beginnen. Durch das neue Psychotherapeutengesetzt wird es ihnen u. a. möglich sein, die zweijährige stationäre Weiterbildungsphase komplett in der Suchtrehabilitation zu absolvieren. Wie wird sich die Veränderung in der Aus- und Weiterbildung von Psychotherapeut:innen auf die Einrichtungen der Suchthilfe auswirken? KONTUREN online hat Expert:innen aus der Praxis nach ihren Einschätzungen gefragt und die Antworten im Folgenden zusammengestellt. Die Leitfrage an alle Expert:innen lautete:
Welche Chancen, Risiken und Herausforderungen sehen Sie in der neuen Weiterbildung der Psychotherapeut:innen und wie gehen Sie in der Praxis damit um?
Dr. med. Elke H. Sylvester
Chefärztin, Fachklinik Nettetal, CRT Caritas-Reha und Teilhabe GmbH, Wallenhorst
Nachdem die Ausbildung der Psychotherapeut:innen auf neue gesetzliche Grundlagen gestellt wurde, ist es seit dem Wintersemester 2020/21 möglich, nach einem fünfjährigen Universitätsstudium und erfolgreicher Abschlussprüfung die Approbation als Psychotherapeut:in zu bekommen. Eine nach Landesrecht organisierte Weiterbildung (auf Basis der Muster-Weiterbildungsordnung von Seiten der Bundespsychotherapeutenkammer) soll in stationären und ambulanten Einrichtungen angeschlossen werden. Die Weiterbildung zur Fachpsychotherapeut:in erfolgt damit in Analogie zur ärztlichen Weiterbildung.
Für den großen Bereich der Suchthilfe ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der Beschäftigung der zukünftigen Psychotherapeut:innen sowohl in der ambulanten, ganztägig ambulanten und stationären medizinischen Rehabilitation als auch in Übergangseinrichtungen. Damit besteht die Möglichkeit, fundierte Erfahrungen in der multiprofessionellen und interdisziplinären Zusammenarbeit zu sammeln.
Die vergleichsweise langen Therapiezeiten bieten auch angehenden Fachpsychotherapeut:innen eine gute Möglichkeit, entsprechend umfassende Therapie- und Veränderungsprozesse kennenzulernen, im Weiteren selbst zu initiieren und unter Supervision zu gestalten. Der Wirkfaktor der therapeutischen Beziehung kann so umfassend gelernt und erfahren werden. Der hohe Anteil an gruppentherapeutischen Angeboten ergänzt den Weiterbildungsprozess in besonderer Weise. Der Blick über das „eigene“ Setting hinaus wird dabei durch die gute Vernetzung in der Suchthilfe gefördert. Die vorgesehenen Weiterbildungszeiten zum / zur Fachpsychotherapeut:in, die länger sind als die Praktika in der bisherigen Ausbildung, kommen diesem Prozess zugute.
Die neue Psychotherapie-Ausbildung sieht die Möglichkeit einer Qualifizierung in der Sozialmedizin vor. Für die medizinische Rehabilitation ist diese Qualifikation erforderlich. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels auch im ärztlichen Bereich ergeben sich hier neue Möglichkeiten, den Anforderungen der Kosten- und Leistungsträger gerecht zu werden.
Suchttherapie ist mehr als reine Psychotherapie – es wird für die Weiterbildungsanbietenden notwendig sein, dieses Wissen potenziellen Bewerber:innen zu vermitteln. Auch die in der medizinischen Rehabilitation erforderliche Orientierung nicht nur an Diagnoseklassifikationssystemen (ICD-10, DSM-V), sondern an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) mit der entsprechenden Auswirkung auf die Gestaltung von Therapieprozessen, sollte deutlich kommuniziert werden. Das Therapieziel ist nicht nur eine Symptomreduktion, sondern eine umfassende Verbesserung der Teilhabe.
Eine Herausforderung besteht schon jetzt darin, therapeutisch Tätige mit unterschiedlicher Grundprofession und dementsprechend unterschiedlicher Therapieausbildung gut in ein Team zu integrieren und Grabenkämpfe insbesondere zwischen Suchttherapeut:innen und Psychotherapeut:innen zu vermeiden. Beide sind für eine gelungene Suchttherapie –natürlich neben den anderen notwendigen Berufsgruppen – unverzichtbar.
Eine Substanzkonsumstörung ist eine bio-psycho-soziale Erkrankung. In der Praxis heißt das, dass im Therapieprozess alle Ebenen Berücksichtigung finden müssen. Die Komorbidität weiterer psychischer Störungen ist dabei eher die Regel, denn die Ausnahme. Dementsprechend kann der große Bereich der Suchthilfe eine fundierte Weiterbildung nicht nur hinsichtlich der Substanzkonsumstörung, sondern auch in Bezug auf weitere psychische Störungen wie affektive Störungen, psychotische Erkrankungen, Traumafolgestörungen, Angsterkrankungen, ADHS oder Persönlichkeitsstörungen garantieren.
Je besser dabei das Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen Professionen und den unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen, desto besser das Outcome. Eine vorbehaltlose und wertschätzende Zusammenarbeit im multiprofessionellen und interdisziplinären Team ist dafür eine grundlegende Voraussetzung.
Marcus Breuer
Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Klinikleitung und Therapeutische Leitung, Würmtalklinik Gräfelfing, Deutscher Orden – Ordenswerke
Chancen:
Durch die Revision der Psychotherapeuten-Approbationsordnung im Jahr 2020 ergibt es sich erstmalig, dass zukünftige Psychotherapeut:innen ihre therapeutische Zusatzausbildung nicht selbst werden bezahlen müssen. Dies ist berufspolitisch ein wesentlicher Fortschritt. Außerdem ist hiermit erstmals sichergestellt, dass auch während der psychotherapeutischen Weiterbildung (bzw. der Weiterbildung zum / zur Fachpsychotherapeuten:in) – analog zur Facharztausbildung bei den Ärzt:innen – angemessene Gehälter bezahlt werden. Schließlich verfügen die Betroffenen bereits über einen anerkannten Masterabschluss!
Risiken:
Was für die zukünftigen Master-Absolventen nach dem neuen Psychotherapeutengesetz eine Chance ist (s.o.), ist zugleich ein Risiko. Aktuell ist nämlich keinesfalls sichergestellt, dass ausreichend Plätze für die Weiterbildung zum / zur Fachpsychotherapeut:in (das Analogon zur bisherigen Psychotherapie-Zusatzausbildung) zur Verfügung stehen werden. Und anders als bisher kann man sich in die neue Weiterbildung auch nicht selbst „einkaufen“. Es besteht also die reale Gefahr, dass es (ggf. deutlich) mehr Bewerber:innen für die Weiterbildung zum / zur Fachpsychotherapeut:in geben wird, als überhaupt Weiterbildungsplätze bestehen. Das größte Problem ist die Frage, wie die Kliniken bzw. Leistungserbringer die einzelnen Weiterbildungsanteile (insbesondere Theorieteil, Supervision sowie Selbsterfahrung) refinanzieren.
Herausforderungen:
Die größten Herausforderungen betreffen zwei Aspekte: Erstens gilt es, die Kosten- und Leistungsträger mit ins Boot zu bekommen. Nur wenn es von dieser Seite zu einer realistischen Refinanzierung der zusätzlichen Lasten kommt, werden ausreichend viele Weiterbildungsplätze geschaffen werden. Dies wiederum wäre auch im Interesse der Kostenträger. Die zweite Herausforderung für die Leistungserbringer besteht in der Bewältigung der mit der neuen Weiterbildungsordnung (WBO) verbundenen Logistik und Bürokratie. Dies reicht von den Anträgen zur Anerkennung als Weiterbildungsstätte bei der jeweiligen Landespsychotherapeutenkammer über das Finden geeigneter Weiterbildungsbefugter bis hin zur konkreten Betreuung zukünftiger Kolleg:innen, die sich in der Weiterbildung zum / zur Fachpsychotherapeuten:in befinden. Diese müssen deutlich aufwendiger betreut werden als bisher. Auch hierfür werden (z. B. Personal-)Ressourcen benötigt. Schließlich ist auch die zeitliche Befristung der Tätigkeit im Rahmen der Weiterbildung (maximal zwei Jahre stationäre Tätigkeit) ein Problem bzw. eine Herausforderung für die Kliniken als Leistungserbringer. Hier besteht die Gefahr einer häufigen Personalrotation, welche nicht im Interesse der Kliniken und auch nicht der Kostenträger sein kann.
So gehen wir in der Praxis aktuell mit diesem Thema um:
Als kleinere stationäre Suchtrehaklinik werden wir nicht in der Lage sein, die oben genannten Weiterbildungsanteile selbst anzubieten. Wir machen uns daher gerade auf die Suche nach Kooperationspartnern (z. B. bei den Weiterbildungsinstituten). Wir haben uns bisher auch noch nicht final entschieden, ob wir die Anerkennung als Weiterbildungsstätte überhaupt anstreben werden. Neben der Prüfung der für uns in Frage kommenden Optionen beobachten wir aktuell die Entwicklung am Arbeitsmarkt besonders genau.
Christina Baumeister
Geschäftsführerin, Alida Schmidt-Stiftung, Hamburg
Zunächst einmal können wir festhalten, dass mit dem neuen Psychotherapeutengesetz der Weg zum/zur „einsatzfähigen“ Psychotherapeuten bzw. Psychotherapeutin kürzer und einfacher wird: Nach dem Bachelor-Studium der Psychologie, dem Master-Studium der Klinischen Psychologie und Psychotherapie sowie der Approbationsprüfung stehen künftig approbierte Psychotherapeut:innen nach gut fünf Jahren für die psychotherapeutische Behandlung in unseren Suchtfachkliniken zur Verfügung. Die bisher für eine Approbation erforderliche Weiterbildung mit einer Dauer von weiteren fünf Jahren ist nicht mehr Voraussetzung für eine Tätigkeit in der medizinischen Rehabilitation.
Falls wir uns als Praktikumsbetriebe engagieren, lernen wir die angehenden Psychotherapeut:innen bereits während ihres Studiums kennen. Das führt günstigstenfalls zu einer vorgezogenen Personalrekrutierung bzw. -bindung. Die erste Herausforderung wird sein, 17- bis 20-jährige Studierende sinnvoll in unseren Fachkliniken einzusetzen. Im Masterstudium sind sie mit vielleicht 21 bis 23 Jahren schon etwas reifer. Nach unseren bisherigen Erfahrungen sind neue Mitarbeiter:innen i.d.R. mit PT1- u. PT2-Erfahrungen deutlich sicherer im Patientenkontakt als noch Studierende und können insofern auch eher selbstständig mit Patient:innen arbeiten. Das bedeutet, dass künftige studentische Praktikant:innen stärker hilfs- oder begleitende Tätigkeiten ausüben werden. Für die Sinnhaftigkeit der Praktika wird es außerdem darauf ankommen, wie lange die Studierenden „am Stück“ in den Kliniken tätig sein werden. Das Fachkrankenhaus Hansenbarg der Alida Schmidt-Stiftung hat bereits eine Kooperation mit einer Hochschule für Praktika im Masterstudium vereinbart. Hierbei sollen die Studierenden die gesamte Praktikumszeit von dreieinhalb Monaten in unserer Fachklinik ableisten. In ländlicher Idylle gelegen, haben wir vorsorglich eine Wohnung im Nachbarort für eine potentielle Studierenden-WG angemietet und möbliert, damit das Praktikum nicht schon am täglichen Anfahrtsweg scheitert. Im Übrigen entstehen offenbar keine Kosten für den Praktikumsgeber. Der Aufwand beschränkt sich auf die Erstellung eines Einsatzkonzepts und die Betreuung der Praktikant:innen.
Wir gehen davon aus, dass die Psychotherapeut:innen nach der neuen Systematik direkt nach der Approbation in unseren Reha-Kliniken der Suchthilfe eingesetzt und voll auf den Stellenplan angerechnet werden können. Diese Fachkräfte könnten für unser Arbeitsfeld langfristig gebunden werden, wenn sie sich mit der Ausbildung bestehend aus Studium und praktischen Einsätzen ausreichend qualifiziert fühlen und keine langjährige Fach-Weiterbildung anstreben.
Ambivalent betrachten wir eine Beteiligung unserer Einrichtungen als Weiterbildungsstätte im Rahmen der Weiterbildung zum/zur Fachpsychotherapeuten bzw. Fachpsychotherapeutin. In der Bewertung fällt positiv ins Gewicht, dass für die Anerkennung als Weiterbildungsstätte bundesweit einheitliche Kriterien bestehen und die Anerkennung zwar nach Landesrecht durchgeführt wird, aber bundesweit gelten soll. Bisher leiden wir nämlich unter einem uneinheitlichen Vorgehen der Länder und sind mit unserer Fachklinik z. B. in Niedersachsen für die Weiterbildung zugelassen, nicht jedoch in Hamburg. Für eine Beteiligung an der Weiterbildung spricht auch, dass die Weiterbildung nicht nur in den Reha-Kliniken, sondern auch in unseren Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Suchterkrankungen durchgeführt werden kann. So können die angehenden Fachpsychotherapeut:innen das gesamte Spektrum der Behandlung und Betreuung von Suchtpatient:innen kennenlernen. Und nicht zuletzt: Falls die PiW (Psychotherapeut:innen in Weiterbildung) während ihrer Weiterbildung von Anfang an auf den Stellenplan angerechnet werden können, entstehen auch hier keine zusätzlichen Personalkosten.
Allerdings erscheinen die Anforderungen an die Weiterbildungsstätten auf den ersten Blick sehr anspruchsvoll zu sein. Hier braucht es innerhalb der Klinik eine verantwortliche Person als Weiterbildungsbefugte:n, die für die Antragstellung, die Kooperation mit den Weiterbildungsinstituten, die Qualifizierung der PiW, die Erstellung des Weiterbildungsplans, die Dokumentation, die Fallbesprechungen und die Qualitätssicherung zuständig ist. Dies quasi nebenbei den – ohnehin nicht in der Personalbemessung der DRV enthaltenen – therapeutischen Leitungen aufzubürden, erscheint schwierig. Fraglich ist auch, welche langfristige berufliche Tätigkeit die Fachpsychotherapeut:innen nach Abschluss ihrer Weiterbildung ausüben wollen. Wird eine Zulassung zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung im System der gesetzlichen Krankenversicherung angestrebt, so werden diese Fachkräfte nach ihrer bei uns absolvierten Weiterbildungszeit von zwei bis drei Jahren wieder aus unseren Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe ausscheiden. Wir machen bereits jetzt die Erfahrung, dass die meisten PiAs (Psychotherapeut:innen in Ausbildung nach dem herkömmlichen System) nach Approbation in andere Tätigkeitsbereiche abwandern. Die ohnehin hohe personelle Fluktuation und die damit verbundenen organisatorischen Diskontinuitäten und Erfahrungsverluste werden sich damit weiter erhöhen.
Möglicherweise schotten wir uns jedoch ungewollt von einem großen Personalpool ab, wenn wir den Aufwand für die Weiterbildung scheuen. Denn bisher ist nicht absehbar, wie viele Masterpsychotherapeut:innen in ihrer beruflichen Laufbahn auf die Fach-Weiterbildung verzichten werden.
Gerne beteiligen wir uns weiterhin an einem Meinungs- und Erfahrungsaustausch im Rahmen des bus. e. V., um bei diesen Zukunftsfragen eine fundierte Entscheidung zu treffen.
Mathias Schuch
Dipl.-Psych., ehem. Leiter der Therapeutischen Einrichtung „Auf der Lenzwiese“, Höchst-Hassenroth/Odw., seit 2000 als Psychologischer Psychotherapeut / Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in eigener Praxis tätig (Psychotherapeutische Praxisgemeinschaft Buchhügel, Offenbach), seit 2020 Geschäftsführer der Main PVZ Offenbach gGmbH
Als Geschäftsführer des Psychotherapeutischen Versorgungszentrums Offenbach ist Mathias Schuch selbst in der Psychotherapie-Ausbildung tätig. Das folgende Statement ist die Zusammenfassung eines Telefon-Interviews mit KONTUREN online.
Mit der neuen universitären Ausbildung zum / zur Psychotherapeut:in, die mit der 1. Approbation abgeschlossen wird, werden die Absolvent:innen jünger und sie bringen mehr Praxiserfahrung aus dem Studium mit. Fraglich ist aber, wie die Universitäten diese Ausbildung werden leisten können. Das bisherige Lehrpersonal kann diese praktischen Kenntnisse kaum vermitteln. Auch werden gewisse Theorieinhalte des bisherigen Grundlagenstudiums außen vor bleiben. Gleichzeitig vergrößert sich der Gestaltungsspielraum der Universitäten im Sinne einer Art Monopolisierung. Sie können mehr Einfluss darauf nehmen, zu bestimmen, was Psychotherapie ist.
Positiv an der neuen Ausbildung ist eine Vereinheitlichung des klinisch ausgerichteten Studiums, problematisch ist, dass sich die Studierenden direkt zu Beginn ihres Studiums, also im Alter von ca. 19 Jahren, für die Fachrichtung Psychotherapie entscheiden müssen.
Die Verlagerung von mehr Praxisausbildung in die Studienzeit wird Auswirkungen auf die Ausbildungsinstitute haben. Davon gibt es momentan um die 200. Sie werden in Zukunft nur noch Angebote für die Weiterbildung durchführen können, nicht mehr für die Ausbildung. Da die approbierten Psychotherapeut:innen nach der neuen gesetzlichen Regelung für ihre Tätigkeit am Ausbildungsinstitut fest angestellt und voll bezahlt werden müssen, werden kleinere Institute möglicherweise Probleme mit der Kostenstruktur bekommen oder sogar schließen müssen. Somit könnten sich die Anzahl und die Kapazitäten der Weiterbildungsinstitute als Flaschenhals entwickeln und zu einer geringeren Anzahl an Fachpsychotherpeut:innen führen.
Sehr zu begrüßen ist, dass die approbierten Psychotherapeut:innen einen arbeits- und sozialrechtlich gesicherten Status haben, der dem von Assistenzärzt:innen bzw. von Fachärzten entspricht. Damit einher geht der Anspruch auf eine angemessene Vergütung einer Kliniktätigkeit. Allerdings ist eine entsprechende Finanzierung durch die Krankenkassen und Kostenträger bis zum heutigen Tage noch nicht gegeben. Zu erwarten ist aber, dass dadurch weniger Psychotherapeutenstellen besetzt werden. Psychotherapeut:innen mit der 1. Approbation können zwar schon vielfältig in den Kliniken eingesetzt werden, es ist aber anzunehmen, dass die DRV für bestimmte Tätigkeiten wie die Erstellung von Behandlungsplänen und Gutachten Psychotherapeut:innen mit Fachkundenachweis, also mit der 2. Approbation, fordert.
Fachpsychotherapeut:innen werden teuer, wenn sie in einer Suchtrehaklinik bleiben sollen. Im ambulanten Bereich können sie ihre Arbeitszeiten flexibler gestalten, haben ein breiteres Spektrum an zu behandelnden Diagnosen und verdienen sehr gut. Ein Vorteil der neuen Aus- und Weiterbildung für die Suchthilfe ist die Öffnung für Präventionsangebote.
Eine positive Vision für die Zukunft ist die enge Kooperation – z. B. in Form von Joint Ventures – zwischen stationären Einrichtungen und den Weiterbildungsinstituten, die Verschränkung zwischen dem stationären und ambulanten Bereich. Eine Schlüsselrolle spielen hierbei die Weiterbildungsbefugten. Für die Kliniken ist es sinnvoll, schon die Praktika während der Studienzeit zu nutzen, um potenzielle Weiterbildungskandidat:innen mit der Einrichtung vertraut und diese als Weiterbildungsstätte attraktiv zu machen.
Um für die Zukunft ihr psychotherapeutisches Fachpersonal zu sichern, müssen die Kliniken flexibel sein und sich für die Zusammenarbeit mit ambulanten Zentren und Praxen öffnen. Es geht nur im Netzwerk und mit Kooperation. Und: Raus aus der Glasglocke!
Manuela Schulze
Geschäftsführerin, Tannenhof Berlin-Brandenburg gGmbH
Seitdem durch den Bundesverband Suchthilfe (bus.) ausführliche Informationen über die neue Weiterbildungsordnung und auch zu den damit verbundenen Möglichkeiten für Rehabilitationseinrichtungen weitergeben wurden, beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema und wollen die Voraussetzungen für die Durchführung der Weiterbildung in unseren Rehabilitationseinrichtungen schaffen.
Aktuell sehen wir die neue Weiterbildung der Psychotherapeut:innen als große Chance, zumindest in dieser Berufsgruppe frühzeitig Fachkräfte als Bezugstherapeuten für die Arbeit in der Rehabilitation und mit Abhängigkeitserkrankungen zu gewinnen. Wir können die Weiterbildung stärker mitgestalten. Durch die Anerkennung der Master-Absolventen mit Approbation haben wir diese als Bezugstherapeuten für mindestens zwei Jahre im Rahmen ihrer Weiterbildung auszubilden und auch im Rahmen des Sollstellenplans zu beschäftigen. Das wertet den Tätigkeitsbereich Rehabilitation sehr auf, und wir können langfristig junge Fachkräfte für dieses Arbeitsgebiet gewinnen. Darin sehen wir nicht nur eine Chance, sondern vielleicht sogar eine „Rettung“ für einige Rehabilitationseinrichtungen, die besonders unter dem Fachkräftemangel leiden.
Auch dass wir uns fachlich mehr in die Weiterbildung einbringen können, ist gut, weil damit die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen mehr Gewicht in der Weiterbildung zum / zur Fachpsychotherapeut:in bekommen könnte. Die Aufwertung der Psychotherapeut:innen, als Weiterbildungsbefugte benannt werden zu können, kann man sehr positiv sehen, weil sie auch die Rolle und Expertise der Psychotherapeuti:innen in der Rehabilitation stärkt.
Risiken sehen wir aber gleichzeitig in der Grundstruktur und Umsetzung. Wir bekommen als Weiterbildungsstätte die Verantwortung für die Erfüllung aller Anforderungen der Weiterbildungsordnung, was nicht nur personelle, sondern auch inhaltliche und finanzielle Aspekte umfasst. Dazu gehören dann auch die Theorievermittlung, Selbsterfahrung und Supervision. Es ist aus unserer Sicht nicht ausreichend geklärt, wie dies neben einer entsprechenden Vergütung der Tätigkeit zusätzlich finanziert und organisiert werden soll. Darunter könnte die Qualität der Ausbildung leiden. Arbeitgeber könnten sich entscheiden, zunächst auf die bereits ausgebildeten Psychotherapeut:innen zurückzugreifen, weil sie mit den neuen Regelungen überfordert sein könnten.
Aber auch hier besteht durch den Zusammenschluss von Rehabilitationseinrichtungen gemeinsam mit dem bus. eine Chance, die Umsetzung der Weiterbildung zu organisieren und damit wiederum eine gute Basis zu schaffen und sich noch mehr zu vernetzen.
In allen unseren Rehabilitationseinrichtungen wollen wir die Vorbereitungen treffen, um uns als Weiterbildungsstätte anerkennen zu lassen. Wir werden Weiterbildungsbefugte benennen, um Psychotherapeut:innen in Weiterbildung anstellen zu können. Ebenso haben wir schon einen Kooperationsvertrag mit einer Universität geschlossen, wollen dies mit weiteren Hochschulen erweitern, um bereits während des Masterstudiums Praktika anzubieten und die angehenden Psychotherapeut:innen mit unserem Arbeitsbereich vertraut zu machen.
Dr. phil. Clemens Veltrup
Dipl.-Psych., Leitender Therapeut der Fachklinik Freudenholm-Ruhleben, Schellhorn, Geschäftsbereichsleiter „Suchthilfe“ im Landesverein für Innere Mission in Schleswig-Holstein
Chancen:
Endlich! Durch das neue Psychotherapeutengesetzt wird es den approbierten Psychotherapeut:innen möglich sein, die komplette stationäre Weiterbildungsphase in der stationären medizinischen Rehabilitation für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen („Suchtrehabilitation“) zu absolvieren. Bei den Suchthilfeträgern, die auch über ambulante Einrichtungen (z. B. Suchtberatung,) verfügen, können die psychotherapeutischen Kolleg:innen zusätzlich weitere zwölf Monate für ihre Weiterbildung anrechnen lassen.
Die Rentenversicherungsträger werden die „neuen“ Psychotherapeut:innen in vollem Umfang für die psychotherapeutische Arbeit in den Rehabilitationskliniken anerkennen, so dass die Finanzierung der Personalstellen grundlegend gesichert ist. Die neuen Kolleg:innen können u. a. durch ihr aktuelles Fachwissen zur Verbesserung der psychotherapeutischen Arbeit in der Suchthilfe beitragen.
Damit kann es gelingen, dem zunehmenden Fachkräftemangel im psychotherapeutischen Bereich in den nächsten Jahren erfolgreich zu begegnen. Die bisher mit Psychotherapeut:innen in Ausbildung besetzten Stellen werden ja nur unter Auflagen von den Rentenversicherungsträgern anerkannt, die Approbation als Psychotherapeut:innen ist bisher für die stationäre und ambulante Suchtrehabilitation zwingend. Die Psychotherapeut:innen in Weiterbildung (PtW) können helfen, das Angebot der ambulanten Suchtrehabilitation aufrechtzuerhalten bzw. auszubauen.
Auch in der Eingliederungshilfe können die PtW im Rahmen der interdisziplinären Zusammenarbeit zu einer „wirksameren“ Hilfe für die Klient:innen beitragen.
Risiken:
In den nächsten Jahren ist damit zu rechnen, dass es mehr Bewerber:innen als Weiterbildungsstellen gibt. Vor dem Hintergrund des erkennbaren zunehmenden Mangels an Suchttherapeut:innen besteht dann die Gefahr, dass die bewährte interdisziplinäre Zusammenarbeit sich verändert und Suchttherapeut:innenstellen mit Psychotherapeut:innen besetzt werden. Damit würde ein tragendes Element einer erfolgreichen Suchtrehabilitation geschwächt werden.
Somit gilt es, engagierte Sozialabeiter:innen/ Sozialpädagog:innen zu finden, die die Weiterbildung zum / zur Suchttherapeut:in beginnen. Auch hier müssen die Rentenversicherungsträger die bisherigen Auflagen für die Anerkennung kritisch überdenken und „bedarfsgerecht“ modifizieren.
Auch die Möglichkeiten von Ärzt:innen in Weiterbildung in der Suchtrehabilitation sollten deutlich verbessert werden. Es ist zu prüfen, ob nicht auch hier (mindestens) zwei Jahre Weiterbildungszeit für verschiedene Fachärzt:innengruppen anerkannt werden könnten (z. B. Fachärzt:in für Innere Medizin, Fachärzt:in für Allgemeinmedizin, Fachärzt:in für Psychiatrie und Psychotherapie).
Herausforderungen:
Die Vermittlung von Theorie, Selbsterfahrung und die kontinuierliche Supervision müssen in den Kliniken neu organisiert werden. Es bietet sich aber die Möglichkeit und Chance an, dies z. B. über den bus. bundesweit zu organisieren.
Es gilt, Weiterbildungsbefugte für die PtW zu finden und ihre Tätigkeit entsprechend zu vergüten. Erfahrene approbierte Psychotherapeut:innen können diese Aufgabe grundsätzlich übernehmen.
Die Organisation der Weiterbildung für Psychotherapeut:innen bringt es mit sich, dass diese entweder nach Beendigung der Weiterbildungsphase die Klinik verlassen oder (nach Erhalt der Fachpsychotherapeut:innen-Qualifikation) eine Niederlassung in eigener Praxis anstreben. Diese Personalfluktuation muss im Rahmen der Personalplanung der Klinik angemessen berücksichtigt werden. Es gilt auch, angemessene Positionen für Fachpsychotherapeut:innen zu schaffen, z. B. als Leitende Psychotherapeut:innen für Abteilungen in der Klinik oder als Mitglied der Klinikleitung. Die neue Bereichsweiterbildung für „Sozialmedizin“ eröffnet den Fachpsychotherapeut:innen erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten in der medizinischen Rehabilitation.
Vorgehen:
So bald wie möglich werden wir die Anerkennung als Weiterbildungsstätte beantragen. Erfahrene Kolleg:innen werden wir motivieren, sich als Weiterbildungsbefugte bei der Psychotherapeutenkammer akkreditieren zu lassen. Und schon kann es losgehen!