Frank Löbler, Konstantin Loukas, David Schneider, Sandra Schneider

Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit

Sandra Schneider

David Schneider

Konstantin Loukas

Frank Löbler

Der Fachdiskurs der Sozialen Arbeit beschäftigt sich zunehmend mit dem Einsatz wirkungsorientierter Instrumente. Im folgenden Text plädieren wir dafür – trotz mitunter vorgetragener methodischer Bedenken –, mittels praktikabler Verfahren in die wirkungsorientierte Praxisforschung einzusteigen. Dabei wird auf den Vorzug teilhabe- und lebensqualitätsorientierter Instrumente im Kontext der Wirkungs­analyse verwiesen. Am Beispiel der Suchthilfe wird deutlich: Es geht um Beeinträchtigungen und Ressourcen in der gesamten Lebenswelt, in der auch die Soziale Arbeit mehrdimensional ansetzt.

Auf Basis der Erfahrungen mit der Personal Outcomes Scale, einem teilhabeorientierten Interviewverfahren, wird deutlich, dass Wirkungsorientierung realistisch ist und das Interview als Instrument sich besonders dazu eignet, klienten- und organisationsbezogene Informationen zu erheben und auszuwerten. Die Träger Jugendberatung und Jugendhilfe e.V. in Frankfurt und das Sozialwerk St. Georg in Gelsenkirchen haben in den vergangenen Jahren mehrere Tausend Menschen in unterschiedlichen Betreuungssettings – wie der Eingliederungshilfe oder dem stationären Wohnen – zu ihrer Lebensqualität interviewt. Ausgewählte Ergebnisse werden im Folgenden vorgestellt.

Wirkungsorientierung als Chance

Spätestens seit der Einführung des BTHG wird in der Eingliederungshilfe verstärkt über die Wirkung von Hilfeleistungen gesprochen. Aber nicht nur dort, sondern in der gesamten Sozialen Arbeit ist die Wirkungsorientierung seit Jahren ein mitunter kontrovers diskutiertes Thema. In der Praxis geht es allerdings oft schleppend voran. Die Gründe für eine stärkere Orientierung an der Wirkung sind bei alledem evident: Zunächst geht es um die Verpflichtung gegenüber interessierten Parteien wie den Leistungsträgern oder der öffentlichen Hand. Die Qualität der Angebote hat sich daran zu messen, ob die Angebote nachweislich die gesellschaftliche Teilhabe der Klientinnen und Klienten erhalten bzw. fördern. Eine evidenzbasierte Evaluation der Maßnahmen und Betreuungsformen dient aber auch der eigenen Positions­bestimmung und liefert Hinweise auf Veränderungs- und Verbesserungs­potentiale der angebotenen Leistungen (Sozial.de, 2020). Ebenso sollte die Erfassung und Interpretation von Veränderungen seitens der Klientel hinsichtlich ihrer Lebenswelt und Lebensqualität als Gradmesser für die Wirkung Sozialer Arbeit fungieren.

Neben dem professionseigenen Anspruch der Sozialen Arbeit, wirksame Arbeit zu leisten, wird Wirkungsorientierung auch im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz und den Landesrahmenverträgen gefordert. Dennoch erfolgte bislang keine abschließende Definition der Begriffe Wirkung und Wirksamkeit und auch keine Benennung von Verfahren und Instrumenten, mit denen die Wirkungsanalyse bzw. Wirksamkeitsmessung seitens der Leistungserbringer durchgeführt werden könnte. Vielmehr finden sich bei der Durchsicht der Landesrahmenverträge unterschiedliche Begriffsinterpretationen und Ansätze (Deutscher Verein 2022, S. 6 ff.). Dass sich hier noch keine routinierte oder gar einheitliche Handhabung durchgesetzt hat, dürfte auch damit zusammenhängen, dass in der Eingliederungshilfe Erfahrungen mit dem Nachweis von Wirkung fehlen. Die Bunderegierung stellte im Dezember 2022 fest: „(…) knapp sechs Jahre nach der Verabschiedung des BTHG ist die angestrebte Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe (…) noch nicht vollständig in der Praxis umgesetzt.“ (Deutscher Bundestag 2022, S. 18) Diese Unschärfe verschafft den Leistungserbringern allerdings auch Gestal­tungs­spielräume, um eigene Positionen zur Wirkungsorientierung erfahrungs- und evidenzbasiert zu entwickeln.

Wie lässt sich „Wirkung“ in der Eingliederungshilfe feststellen und beurteilen?

Heute zweifelt niemand mehr daran, dass die Ergebnisse der Sozialen Arbeit messbar und die Prozesse steuerbar sind. Gestritten wird lediglich darüber, welche Verfahren angewandt werden und wie wissenschaftlich anerkannt diese sind. Es gibt gute Gründe für experimentelle Designs zum Nachweis kausaler Effekte: Randomisierte kontrollierte Studien und Metaanalysen gelten als Goldstandard der evidenzbasierten Forschung. Sie gelten als die sicherste Methode, Nutzen und Risiken von Therapien zu bewerten. Hier kann von „Wirkungsmessung“ gesprochen werden.

Studien, die ohne Theoriebildung, Formulierung von Hypothesen, experimentelle Variation von Bedingungen, Kontrollgruppe und Randomisierung durchgeführt werden, sollten indes nicht von „Wirkungsmessung“ sprechen, denn dies suggeriert, dass bestimmte Effekte unmittelbar auf diese oder jene Intervention zurückzuführen sind. „Wirkungen in der sozialen Arbeit sind allerdings komplexer und lassen sich oft nicht im Sinne der korrelativen Rückführbarkeit auf einzelne Interventionen ‚messen‘“, heißt es im „Kursbuch Wirkung“ (Kurz & Kubek, 2013, S. 49 f.). Deshalb wird dort der Begriff „Wirkungsanalyse“ als der passendere vorgeschlagen.

In diese Richtung argumentieren auch Ottmann, König und Gander (2021). Sie schlagen eine theoriebasierte „Wirkungsplausibilisierung“ vor. „Die Realisierung von klassisch experimentellen Studien erscheint innerhalb der Sozialen Arbeit und der Eingliederungshilfe meist als schwierig und ethisch bedenklich, da bei diesen nur der Zufall entscheiden kann, ob einer bestimmten Person eine bestimmte Maßnahme, also Hilfe, zugeteilt wird oder nicht.“

Mit teilhabeorientierten Instrumenten Veränderungen darlegen

Wirkungsorientiert, wirkungsanalytisch oder mit dem Ziel der Wirkungsplau­sibilisierung in der Eingliederungshilfe der Suchthilfe zu arbeiten, heißt, auf der Basis von Fall-, Text- und Dokumentanalysen sowie von klientenbezogenen Verlaufsbetrachtungen eine Einschätzung zu gewinnen, „ob und in welchem Umfang gefundene Effekte, also beobachtbare Veränderungen oder Stabilisierungen, auf die Angebotsformen oder Formen der Leistungserbringung (Art, Inhalt, Umfang) auch tatsächlich zurückgehen“ (Ottmann et al., 2021).

Eine so verstandene Wirkungsorientierung wird dann ein erfolgreiches und nachhaltiges Projekt, wenn es gelingt, ein realistisches, sinnhaftes und vor allem auch praxiskompatibles Verfahren einzusetzen, um die Entwicklung der Lebensqualität der Klientinnen und Klienten zu dokumentieren und zu evaluieren. In diesem Sinn plädieren wir für eine im Dienst der Qualitätsentwicklung stehende Praxisforschung, die Veränderungen erfasst und plausibel macht, in welchem Verhältnis diese zu bestimmten Angeboten oder Settings stehen.

Experimentelle Studien und qualitativ ausgerichtete Praxisforschung sollten nicht als Gegensätze verstanden werden. Im Gegenteil: Den Dialog zwischen Praxis und Wissenschaft gilt es zu intensivieren, wozu beispielsweise auch seitens der Politik nachdrücklich aufgerufen wurde (Deutscher Suchtkongress, 2022). Zwingende Voraussetzung für die Praxisforschung in der Sozialen Arbeit sind Instrumente und Methoden, die darauf zielen, die psychosoziale Komplexität eines Falles sowie seine soziale bzw. gesellschaftliche Dimension zu erfassen. Teilhabeorientierte Instrumente bieten sich hierbei als Klammer für die Zusammenarbeit verschiedener Einrichtungen und Systeme in der Sozialen Arbeit an. Sie ermöglichen zudem Datenvergleiche zwischen Ländern, Disziplinen im Gesundheitswesen, Gesundheitsdiensten sowie im Zeitverlauf.

Eine pragmatische wirkungsorientierte Arbeit muss in der Lage sein, Veränderungen plausibel und nachvollziehbar darzulegen. Dafür braucht es gut begründete theoretische Annahmen darüber, welche Wirkungen die jeweiligen Angebote in den Einrichtungen zur Folge haben sollten. Diese Annahmen können dann mit empirischem Material, das aus Verlaufsmessungen resultiert, abgeglichen werden.

Wie werden diese Verlaufsmessungen durchgeführt? Ein geeignetes Instrument ist das Interview. Es ermöglicht die Erhebung und Auswertung subjektiver Deutungen und orientiert sich an individuellen und lebensweltlichen Besonderheiten. So kann qualitative Sozialforschung Lebensrealitäten erfassen, Problemlagen erkennen und Veränderungen anregen. Sie ermöglicht ferner Flexibilität ihren Gegenständen und Aufgaben gegenüber (Flick, 2012). Im Vergleich zu klassischen Fragebogen-Befragungen bieten Interviews den Vorteil, dass facettenreichere Aussagen gemacht werden. Die interviewende Person kann zudem flexibel nachhaken. Das Interview bietet die Möglichkeit, subjektive Deutungsmuster spezifisch zu thematisieren. Es existieren Vorannahmen und thematische Eingrenzungen, die aber gleichwohl die Möglichkeit offenlassen, im Interview Relevantes zu vertiefen. „Eigentliches Ziel des Interviews sind die subjektiven Erfahrungen der Personen, die sich in der vorweg analysierten Situation befinden.“ (Merton, 1979)

Lebensqualität als Maßstab von Veränderung – die Personal Outcomes Scale (POS)

In der Eingliederungshilfe werden die Kosten der Betreuung an die Ziele und Maßnahmen von Hilfeplänen geknüpft. Diese strikte Ableitung der Kosten von den Maßnahmen zur Zielerreichung führt in einem prospektiven System zwangsläufig zu Unschärfen, da sich die Bedarfe oft im Lauf der Unterstützung ändern. Das Erfahren von Teilhabe als Ausdruck von Wirkung ist nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit der Erreichung von Zielen in einem Hilfeplan. Daher müssen sich Instrumente zur Messung von Teilhabequalität auch nicht ausschließlich mit der Frage auseinandersetzen, wie der Grad der Zielerreichung gewesen ist. Vielmehr gilt hier das subjektive Teilhabeempfinden als Indikator für eine wirksame Eingliederungshilfe. Aber wie kann Teilhabe gemessen werden, wenn diese doch eine grundlegende subjektive Komponente hat? Dies funktioniert auf der Basis evidenzbasierter Interviewverfahren.

Im Rahmen der Sozialen Arbeit spricht vieles für einen personen- und teilhabezentrierten Ansatz, bei dem die individuelle Verbesserung der Qualität des Lebens derjenigen Person, bei der Assistenz geleistet wird, das übergeordnete und primäre Wirkziel ist. Die Messung der individuellen Qualität des Lebens erfolgt mit dem Instrument der Personal Outcomes Scale (POS), einem wissenschaftlich fundierten, validen und reliablen und gleichzeitig praxistauglichen Messinstrument, welches im Rahmen eines iterativen Prozesses unter der Einbeziehung von Menschen mit Assistenzbedarf im Forschungskontext der belgischen Universität Gent entwickelt wurde (Claes et al., 2010).

Qualität des Lebens ist dabei im Sinne von Robert L. Schalock und Miguel A. Verdugo als mehrdimensionales Phänomen zu verstehen, das sich aus Kernbereichen zusammensetzt, die von persönlichen Merkmalen, Werten und Umweltfaktoren beeinflusst werden. Im Rahmen von internationalen Forschungsarbeiten wurden acht Lebensbereiche, die sogenannten Domänen, identifiziert, welche die individuelle Qualität des Lebens einer Person ausmachen. Die acht Domänen (Schalock & Verdugo, 2019) sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tab. 1: Die acht Domänen der Qualität des Lebens. Quelle: Sozialwerk St. Georg (2021-2023)

Die POS basiert auf den acht Domänen der Qualität des Lebens und beinhaltet insgesamt 48 Fragen, jeweils sechs pro Domäne. Seit der Veröffentlichung der POS im Jahr 2008 wurde das Instrument in zwölf Sprachen übersetzt – darunter auch ins Deutsche (vgl. DGQ, 2019, S. 15) – und findet international aktuell in elf Ländern Anwendung (van Loon et al., 2012).

Die Qualität des Lebens wird im Rahmen eines von qualifizierten Interviewerinnen und Interviewern geführten Gesprächs mit der Person mit Assistenzbedarf erhoben. Hierfür stehen zur Unterstützung auch Piktogramme sowie eine Version des Fragebogens in Leichter Sprache zur Verfügung. Neben der subjektiven Selbsteinschätzung, der eine zentrale Bedeutung beigemessen wird, ist auch eine ergänzende fachliche Erhebung im Rahmen eines Interviews mit einer Person aus dem Unterstützungsnetzwerk möglich. Sollte ein POS-Interview nicht mit der Person selbst durchgeführt werden können, kann alternativ ein sogenanntes Report-by-Others-Interview durchgeführt werden. Hierbei handelt es sich um ein moderiertes Konsensgespräch zweier Vertrauenspersonen, die die eigentlich zu interviewende Person gut kennen, z. B. eine mitarbeitende Person (professionelles Netzwerk) und ein Familienmitglied (soziales Netzwerk).

Wichtig für die Erhebung der Qualität des Lebens mittels der POS ist die Qualifizierung der Interviewerinnen und Interviewer. Dazu wurde ein Schulungskonzept entwickelt, welches zu einem international gültigen Zertifikat führt. Im Rahmen einer Grundlagenschulung wird den Interviewerinnen und Interviewern das Konzept der Qualität des Lebens vermittelt sowie der Einsatz und der Aufbau des Fragebogens mit den Indikatoren und den Antwortmöglichkeiten verdeutlicht. Darüber hinaus werden die Themen Interviewführung, Gesprächsablauf und Haltung besprochen. Die Interviewer:innen sollen befähigt werden, die Fragen methodisch so zu kommunizieren, dass sie von den Befragten inhaltlich verstanden werden und die Antworten den zur Verfügung stehenden Antwortmöglichkeiten zutreffend zugeordnet werden können. Ergänzt wird die Schulung durch begleitete Erst-Interviews.

Voraussetzung dafür, dass die Qualität des Lebens erfolgreich erhoben und ausgewertet werden kann, ist, den gesamten Prozess der Einführung und Durchführung der POS in das Qualitätsmanagement zu integrieren. Der Einsatz der POS muss systematisch und kontinuierlich verfolgt werden. Darin eingebunden sind neben den Interviewerinnen und Interviewern die Prozessverantwortlichen ebenso wie das Analysenetzwerk, in dem die Ergebnisse aufbereitet und ausgewertet werden.

Die Antworten zu den 48 Indikatoren werden mit Punktwerten von 1 bis 3 (3er Likert-Skala) hinterlegt. Aufsummiert ergeben sie einen POS-Wert zwischen 48 und 144 Punkten, der die individuelle Qualität des Lebens auf der Personal Outcomes Scale angibt. Tabelle 2 zeigt POS-Ergebnisse für zwei verschiedene Angebote des Sozialwerks St. Georg aus dem Jahr 2022. Um festzustellen, ob den vorhandenen Unterschieden eine Bedeutung beigemessen werden kann oder ob sie zufällig entstanden sind, wurden mittels des Statistikprogramms SPSS t-tests für unabhängige Stichproben bzw. bei gleichen Personen t-tests für verbundene Stichproben durchgeführt. Das Signifikanzniveau ist auf p < 0.05 festgelegt. Dies entspricht einer maximalen Irrtumswahrscheinlichkeit von fünf Prozent.

Tab. 2: POS-Ergebnisse zweier Angebote im Vergleich; *=signifikant. Quelle: Sozialwerk St. Georg, POS-Bericht (2023)

Darüber hinaus besteht im Rahmen der POS-Interviews die Möglichkeit, über qualitative Kommentare herauszustellen, welche Themen den Befragten besonders wichtig sind, welche Ziele und Wünsche (vgl. Tabelle 3) sie im Hinblick auf die Verbesserung ihrer Qualität des Lebens haben und welche Unterstützung sie dahingehend noch benötigen.

Tab. 3: Themenfelder der am häufigsten genannten Wünsche der Klientinnen und Klienten im Jahr 2022. Quelle: Sozialwerk St. Georg, POS-Bericht (2023)

Nicht zuletzt besteht die Möglichkeit, über den Vergleich der POS-Interviews der gleichen Befragten über mehrere Jahre hinweg Entwicklungsverläufe und Veränderungen in der Qualität des Lebens zwischen verschiedenen Zeitpunkten nachzuweisen, sowohl für die einzelne befragte Person als auch aggregiert für ganze Einrichtungen oder Organisationen. Tabelle 4 zeigt die Zeitverlaufsanalyse 2020/2022 mit 298 Klientinnen und Klienten im Sozialwerk St. Georg.

Tab. 4: Zeitverlaufsanalyse 2020/2022 mit 298 Klientinnen und Klienten; MW = Mittelwert; *=signifikant. Quelle: Sozialwerk St. Georg, POS-Bericht (2023)

Den Einzelfall in den Blick nehmen

In soziologischen Schriften zur Enttraditionalisierung und Flexibilisierung von gesellschaftlichen Lebensverhältnissen wird überzeugend argumentiert, dass Veränderungen der Lebensbedingungen auch Veränderungen der individuellen Wahrnehmung zur Folge haben (vgl. Menke, 2010; Honneth et al., 2005; Rosa, H., 2005; Busch, 2001; Beck 1986).

Die immer individuelleren Lebensentwürfe der modernen Gesellschaft führen dazu, dass die Sozialforscher mit klassischen Kategorienbildungen die Dimensionen des Einzelfalls nicht mehr hinreichend erfassen. Daraus haben Vertreter der qualitativen Sozialforschung die Konsequenz gezogen, die lokalen und lebensweltlichen Besonderheiten des einzelnen „Falls“ verstärkt in den Blick zu nehmen, anstatt mittels standardisierter Verfahren davon zu abstrahieren. Dort, wo es um die realistische Unterstützung von Menschen geht, ist die Fokussierung auf konkrete subjektiv erlebte Teilhabebeeinträchtigungen besonders wichtig, sonst entstehen schnell Überforderung und Belastung.

Die im Sozialwerk St. Georg durchgeführte Studie mit den POS-Interviews ist nicht als randomisierte kontrollierte Studie nach „Goldstandard“ konzipiert. Das POS-Verfahren begreifen wir als wirkungsorientierte Evaluation der Lebensqualität von Menschen mit Assistenzbedarf in der Eingliederungshilfe. Eine randomisierte Verteilung auf Interventions- und Kontrollgruppe ist hier praktisch ebenso wenig durchführbar wie eine Kontrollbedingung, bei der Abhängige nicht oder später behandelt werden (Warte-Kontroll-Bedingung). Die Aussagekraft der Studie wird dadurch begrenzt. Die Ergebnisse sind nicht generalisierbar, ebenso wenig behaupten wir kausale Nachweise im Sinne eines Ursache-Wirkungszusammenhangs (Treischl & Wolbring, 2020).

Von der Veränderungsfeststellung zur Plausibilisierung

Wirkung muss nachvollziehbar beschrieben werden (Weiland, 2019). Die systematische Messung der individuellen Qualität des Lebens gibt Aufschluss darüber, ob gewünschte Veränderungen erreicht werden konnten oder ob negative Entwicklungen eingetreten sind, die nicht intendiert waren. Zudem kann beurteilt werden, ob ein stabiler Zustand positiv, wie geplant, gehalten wurde oder ob sich die Lebensqualität verschlechtert hat. Die systematische Auseinandersetzung mit den erhobenen Daten ist Bedingung für eine Plausibilisierung von Veränderungen.

Die plausibilisierte Beschreibung des Zustandekommens des Outputs – und seiner Bedeutung für die Person (persönliches Outcome) – ist wesentlich für die Messung der individuellen Qualität des Lebens. Dieses Wissen führt, sofern es reflektiert und genutzt wird, auch zur Erweiterung der Handlungskompetenz und stärkt die Selbstwirksamkeit. Der/die Betreffende lernt aus dem Prozess und ist für die Zukunft besser gewappnet. Somit entsteht ein langfristiger Nutzen.

Auch für Einrichtungen und die Prozessbeteiligten ist es sinnvoll, Wirkungsorientierung zu etablieren. Es ist zu definieren, aufgrund welcher Faktoren sich Effekte manifestieren. Hier sind die Organisationen aufgefordert, herauszuarbeiten und zu gewichten, in welchen Kontexten sich Wirkung darstellt. Wirkung kann in drei Dimensionen festgestellt werden: auf der individuellen Ebene (Deutscher Verein, 2022, S. 9 u. 12), im Bereich des Sozialraums sowie innerhalb der Organisationskultur. Welchen Einfluss haben z. B. Fachkräftemangel und ÖPNV-Situation? Ferner wären Klientenbeiräte zu bilden, die sich an Fokusgruppen zur Auswertung beteiligen. Schließlich sind Managementteams gefragt, die die Ergebnisse der betrieblichen Planungsprozesse im Hinblick auf ökonomische, rechtliche, inhaltliche, aber auch organisationskulturelle Wirkfaktoren auswerten. Wie ist der Stand beim Thema „gelebtes Leitbild“, gibt es eine Organisationskultur, die Mitarbeitende einbezieht?

Der Königsweg könnte also ein innerbetrieblicher Reflexionsprozess sein, der die wichtigsten und dringendsten Wirkannahmen herausarbeitet. Diese Annahmen sollten mit denjenigen empirischen Informationen abgeglichen werden, die man aus den POS-Interviews ziehen kann. Wo taucht z. B. Corona, Sozialraum, ÖPNV auf, welche Auswirkung hat dies individuell? Und auch mit 100 Interviews pro Jahr lässt sich eine Querschnittsanalyse erstellen, mit der die Organisation arbeiten kann, um einen Wirksamkeitsnachweis zu erhalten. (Die drei deutschen POS-Anwenderorganisation haben 2022 insgesamt 1.049 POS-Interviews durchgeführt.)

Mut zur Wirkungsanalyse

In der Praxis wird deutlich, dass die POS auf drei Ebenen ihre Wirkung entfaltet. Auf der Mikroebene liefert sie Ergebnisse über die individuelle Qualität des Lebens einer Person und ermöglicht es somit, konkrete Rückschlüsse auf die direkte Klientelarbeit zu ziehen. Aus den Einschätzungen und Aussagen der Klientel können Impulse für die Unterstützung, die Angebote und das Setting gewonnen werden. Diese Ebene betrifft die unmittelbare Zusammenarbeit zwischen Klient:innen und Assistenz und dient dazu, die gewonnenen Informationen in die Klientelarbeit im Sinne eines individuellen Unterstützungsplans zu überführen und Veränderungen im Laufe der Jahre zu verstehen. Dabei sind insbesondere auch die qualitativen Anmerkungen von Bedeutung, die während des POS-Interviews zusätzlich zur Eintragung in die Skalen festgehalten werden.

Im Hinblick auf die Organisationsentwicklung sollen die gewonnenen POS-Ergebnisse in Kombination mit anderen Evaluationsergebnissen zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Angebote beitragen. Diesen Prozess gilt es konzeptionell zu planen und zu steuern. Er ermöglicht die passgenaue Ausrichtung von Strukturen und Prozessen auf die Teilhabewünsche und Teilhabeerfordernisse der Klientinnen und Klienten. Dabei verfolgen wir das Ziel, mithilfe von Fach- und Analyseteams Wirkfaktoren zu ermitteln, mit denen Veränderungen hinsichtlich der Lebensqualität der Klientel – empiriegestützt (vgl. z. B. die Corona-Studie von Sozialwerk St. Georg/XIT, 2021) und theoretisch plausibel – erklärt werden können. Zu diesen Wirkfaktoren gehören beispielweise Personalprobleme, die zu mehr Fremdarbeitseinsatz führen, oder die Kontinuität von Leitungen und Teams, die zu mehr oder weniger stabiler Teilhabearbeit führt, oder die Organisation der BTHG-Umsetzung, die Einfluss auf Ziele und Wirkungen hat.

Im nächsten Entwicklungsschritt werden aggregierte Interviewergebnisse über mehrere Jahre hinweg erfasst, evaluiert und zur operativen und strategischen Entwicklung nutzbar gemacht.

Ferner können auch die aggregierten, visualisierten qualitativen Kommentare zur Rückkopplung der Ergebnisse genutzt werden. Die Trends aus den Interviews können gemeinsam mit der Klientel (in Gruppensitzungen oder in Arbeitskreisen) konkretisiert und für die Assistenz fruchtbar gemacht werden.

Auf der Makroebene geht es um das Benchmarking von gleichen oder unterschiedlichen Einrichtungstypen, um Erkenntnisse darüber, wie Einrichtungstypen sich auf die Teilhabequalität der Klientel auswirken und welchen Einfluss bestimmte (auch externe) Faktoren haben. Diese Informationen sind zunächst losgelöst von der praktischen Einrichtungsebene und können nach Auswertung wieder in die Einrichtungen zurückgeführt werden. Zudem können die gewonnenen Erkenntnisse Eingang in den sozialpolitischen Diskurs finden (Kurz & Kubek, 2013).

Letztlich geht es darum, die gewonnenen Erkenntnisse für die Betreuungssituation nutzbar zu machen. Wenn keine kausalen Wirkungsnachweise erbracht werden können, ist die Darstellung von Wirkungsplausibilität das Mittel der Wahl. Ein teilhabeorientiertes Interview weist in diesem Kontext im Vergleich zu Fremdratings oder anderen Verfahren deutliche Vorteile auf, vor allem ist die Durchführung der POS-Interviews im Arbeitsalltag wesentlich unaufwändiger als eine andere im wissenschaftlichen Setting durchgeführte Untersuchung. Interviews liefern außerdem zusätzlich Anamnesedaten und Erkenntnisse über Bedarfe.

Mit der POS steht ein Instrument zur Verfügung, welches Aussagen zur Teilhabe und Wirkungsorientierung liefert. Dieses Instrument gilt es nun in der Kombination von Wissenschaft und Praxis zum Wohle der Klientel nutzbar zu machen, damit wir uns endlich über Ergebnisse austauschen, nicht bloß über Annahmen.

Kontakt und Angaben zu denAutor:innen

Frank Löbler
Sozialwerk St. Georg e.V.
Ressortleiter Qualität/Qualitätsmanagementbeauftragter
Master Trainer POS-Deutschland
Uechtingstraße 87, 45881 Gelsenkirchen
Telefon: 0209 7004 320
f.loebler@sozialwerk-st-georg.de

Sandra Schneider
Sozialwerk St. Georg e.V.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Ressort Qualität
Telefon: 0209 7004 322
S.Schneider@sozialwerk-st-georg.de

David Schneider, Dipl.-Soziologe
Jugendberatung und Jugendhilfe e.V.
Evaluation & Bildungskoordination
Gutleutstraße 160-164, 60327 Frankfurt
Telefon: 069 743480 13
david.schneider@jj-ev.de

Konstantin Loukas, Dipl.-Soziologe
Jugendberatung und Jugendhilfe e.V.
Fachbereichsleitung Eingliederungshilfe
Telefon: 069 743480-49
konstantin.loukas@jj-ev.de

Literatur:
  • Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Frankfurt am Main.
  • Bernshausen, G., Löbler, F. (2019): Innovation personenbezogener Dienstleistungen als Prozess.
  • Busch, Hans-Joachim (2001): Subjektivität in der spätmodernen Gesellschaft. Weilerswist
  • Claes, C., Van Hove, G., van Loon, J., Vandevelde, S., & Schalock, R. L. (2010): Quality of life measurement in the field of intellectual disabilities: eight principles for assessing quality of life-related personal outcomes. SOCIAL INDICATORS RESEARCH, 98(1), 61–72. https://doi.org/10.1007/s11205-009-9517-7
  • DGQ – Deutsche Gesellschaft für Qualität (2019). Wirkung sozialer Dienstleistungen erfassen. Fachkreis QM in der sozialen Dienstleistung. Whitepaper, November 2019.
  • Deutscher Suchtkongress (2022): Neue Wege in Behandlung, Prävention und Forschung. Programmheft, Lübeck, S. 3 f.
  • Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (2022): Eckpunkte zu Wirkung und Wirksamkeit in der Eingliederungshilfe (DV26/10), verabschiedet vom Präsidium am 07.12.2022.
  • Deutscher Bundestag. Unterrichtung durch die Bundesregierung (2022): Bericht zum Stand und zu den Ergebnissen der Maßnahmen nach Artikel 25 Absatz 2 des Bundesteilhabegesetzes. Drucksache 20/5150 vom 23.12.2023.
  • Flick, U. (2012): Qualitative Sozialforschung (Bd. 5. Auflage). Hamburg, 37.
  • Kurz, B., Kubek, D. (2013): Kursbuch Wirkung. Das Praxishandbuch für alle, die Gutes noch besser tun wollen. In Kooperation mit der Bertelsmann-Stiftung. Berlin. Online verfügbar https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/GP_PHINEO_Kursbuch_Wirkung.pdf; letzter Zugriff 09.12.2022
  • Honneth, A. (Hg.) 2005): Befreiung aus der Mündigkeit. Frankfurt am Main. 141-159.
  • Menke, C., Rebentisch, J. (Hg.) (2010): Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, Frankfurt am Main. 2010.
  • Merton, R. K., Kendall, L. P. (1979). Das fokussierte Interview. In: Hopf, C., und Weingarten, E. Qualitative Sozialforschung, 171.
  • Ottmann, S. K., König, J., Gander, C. (2021). Wirkungsmodelle in der Eingliederungshilfe. Zeitschrift für Evaluation, 20. Jahrgang, Heft 2, 319.
  • Rosa, H., (2005). Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
  • Schalock R. L., Miguel A. Verdugo M. A., (2012). Handbook on Quality of Life for Human Service Practioners. Washington.
  • Schalock, R.L., Keith, K., Verdugo, M.A. & Gomez, L.E. (2010). Quality of Life Model Development and Use in the Field of Intellectual Disability. In: R. Kober (Hrsg.), Enhancing the Quality of Life of People with Intellectual Disabilities (S. 17-32). Dordrecht, Heidelberg, London, New York, 2012.
  • Sozial.de. Das Nachrichtenportal (2020), Interview mit Axel Rothstein und Frank Löbler, „Wer die guten Ergebnisse seiner Arbeit nicht nachweisen kann, hat das größere Problem“, 15.09.2020; https://www.sozial.de/wer-die-guten-ergebnisse-seiner-arbeit-nicht-nachweisen-kann-hat-das-groessere-problem.html; letzter Zugriff 28.04.2023
  • Sozialwerk St. Georg e.V. (2023): Bericht 2022. Qualität des Lebens/Personal Outcomes Scale. Broschüre, Gelsenkirchen.
  • Sozialwerk St. Georg e.V./Xit (2021): Qualität des Lebens von Menschen mit Assistenzbedarf – trotz Corona-Krise. Empirische Analyse der Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Eingliederungshilfe: Messung der Qualität des Lebens im Sozialwerk St. Georg mit der personal Outcomes Scale. Nürnberg/Gelsenkirchen.
  • Treischl, E., Tobias Wolbring, T. (2020): Wirkungsevaluation, Juventa 2020, 55.
  • van Loon, J. B., Bernshausen, G., Löbler, F., Buchenau M. (2012): POS Personal Outcomes Scale. Individuelle Qualität des Lebens messen. Gelsenkirchen. BoD.
  • Weilandt, T. (2019). https://www.dashoefer.de/newsletter/artikel/. Abgerufen am 10. Oktober 2022 von https://www.dashoefer.de/newsletter/artikel/