Petra Antoniewski

GeSA: Gewalt – Sucht – Ausweg

Petra Antoniewski

Frauen, die durch Gewalterfahrungen und eine Suchtmittelproblematik doppelt belastet sind, erfahren auf ihrer Odyssee durch die Hilfesysteme nicht selten auch die doppelte Wucht an Stigmatisierung und Ausgrenzung. Bereits die Offenbarung einer Gewalterfahrung löst häufig eine Lawine von Vorurteilen, negativen Zuschreibungen und Bagatellisierungen aus – nicht immer ausgesprochen, aber als latente Haltung für Betroffene deutlich spürbar. Auf einen in der Regel durch Täterstrategien schon gut bereiteten Boden fallen vor allem Schuldzuweisungen und Vorwürfe: „Sie wird schon ihren Anteil daran haben, dass er sie schlägt!“ Es ist neben der entsetzlichen Angst und der Scham eben genau dieses Gefühl einer wie auch immer gearteten Mitschuld, welches Frauen so lange in gewalttätigen Beziehungen gefangen hält und die Inanspruchnahme von Hilfe schwierig macht. Was aber, wenn dieselbe Frau zusätzlich von einer Suchtmittelproblematik betroffen ist? Missbräuchlich oder abhängig konsumierende Frauen erfahren viel stärker als Männer gesellschaftliche Ächtung und Ausgrenzung. Sucht als Erkrankung wird immer noch eher bei Männern akzeptiert. Süchtige Frauen widersprechen dem traditionellen Rollenbild. Es braucht also nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie hoch die Hürde sein muss, sich mit dieser zusätzlichen Belastung zu offenbaren.

 „Das geht einfach nicht. Du kannst dich nicht einfach hinstellen und das erzählen. Ich würde nie … also den wenigsten Menschen erzähl ich davon. Ich sag zwar: ‚Okay, ich bin geschlagen worden.‘ Aber ich sag nicht, dass ich dann noch bei dem geblieben bin. Weil du weißt, was passiert. Und ich würd auch keinem sagen, dass ich Alkoholikerin bin. Die Eltern meines Freundes zum Beispiel, die wissen das nicht. Weil, die mögen mich wahnsinnig. Und ich denk mal, sie würden mich nicht so … Nein, ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, aber ich hab dann so ’ne Angst – dass das Blatt sich wenden könnte, mit diesem einen Wort, mit diesem einen Satz – der kann Welten verändern.“
Aussage einer Klientin, die im Rahmen des GeSA-Projekts begleitet wurde

Der Zusammenhang von Gewalterfahrung und Sucht

Dabei ist eine Dualproblematik bei Frauen keineswegs die Ausnahme. Frauen und Kinder sind besonders häufig von häuslicher Gewalt betroffen. Für das Jahr 2015 wies die Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes 127.457 von Partnerschaftsgewalt betroffene Personen aus, 82 Prozent davon waren Frauen (Bundeskriminalamt 2015). Betroffene erfahren Gewalt an einem Ort, der eigentlich Schutz und Geborgenheit bieten sollte, und von Menschen, zu denen sie in enger Beziehung stehen. Ein weiteres Merkmal dieser Gewaltform ist, dass es sich nicht um einmalige Übergriffe handelt, sondern Betroffene wiederholt und oft über Jahre hinweg Gewalt erleiden müssen. Das hat Folgen für die physische und vor allem psychische Gesundheit, die zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag, bei der Ausübung des Berufes und der Gestaltung sozialer Kontakte führen (FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2014; Schröttle/Müller 2004). Alkohol, Medikamente oder andere Drogen zeigen sich, zumindest kurzfristig gesehen, als hervorragend geeignet, um dem unerträglichen Druck, belastenden Erinnerungen an das Geschehen oder Gefühlen von Angst und Ohnmacht wenigstens für einen Moment entfliehen zu können. Eine repräsentative Umfrage zur Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland ergab, dass 28 Prozent der von Gewalt betroffenen Frauen in der Folge der Gewalterfahrung auf den Konsum von Alkohol, Drogen und Medikamenten zurückgriffen (FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2014; Schröttle/Müller 2004). So mag es nicht verwundern, dass andere Studien eine überdurchschnittlich hohe Gewaltbelastung süchtiger Frauen belegen (u. a. Vogt/Fritz/Kuplewatzky 2015.

Zugang zu angemessener Hilfe ist schwierig

Dass das Ausmaß der dualen Problematik in den Unterstützungseinrichtungen dennoch unsichtbar bleibt, liegt auch daran, dass die beteiligten Hilfesysteme in der Regel völlig unabhängig voneinander agieren (vgl. Oberlies/Vogt 2014). Eine Beraterin/ein Berater in einer Gewaltschutzeinrichtung weiß von der Gewaltbetroffenheit ihrer/seiner Klientin, nicht zwangsläufig aber auch von ihrer Suchtproblematik. Die/der Therapeut/in einer Suchtklinik hat Kenntnis von der Suchterkrankung ihrer/seiner Patientin, nicht unbedingt aber von ihrer Gewaltbetroffenheit. Systematisch nachgefragt wird selten. Breitgefächerte unspezifische Folgen und Auswirkungen beider Phänomene erschweren das Erkennen von Zusammenhängen zusätzlich.

Aber auch wenn die Dualproblematik offen ist, gestaltet sich der Zugang zu angemessener Hilfe schwierig. Eine Bestandsaufnahme des Unterstützungssystems bei Gewalt gegen Frauen ergab, dass sich fast die Hälfte aller Frauenhäuser als nicht geeignet für die Aufnahme von Frauen mit einer Suchtmittelproblematik sieht (BMFSFJ 2013). Das hat seine Ursache vor allem darin, dass Frauenhäuser, obgleich sie Kriseneinrichtungen sind, über keine 24-Stunden-Betreuung verfügen. Der Anspruch an die Bewohnerinnen, ihren Alltag in der Gemeinschaft selbständig gestalten zu können, ist dadurch sehr hoch. Der Umgang mit einer Suchterkrankung einer Bewohnerin kann dann für alle Beteiligten eine Überforderung darstellen, zumal es auch den Mitarbeiterinnen an Fachwissen und Kompetenz zum Thema Sucht fehlt. Spezialisierte Beratungsstellen schließen die Begleitung von Frauen mit einer Suchterkrankung deutlich seltener aus (BMFSFJ 2013), allerdings können sie auch keinen Schutz gewährleisten. Sie können die Beendigung von Gewalt und die Aufarbeitung von Gewalterfahrungen unterstützen, stoßen mit ihrem Arbeitsauftrag aber schnell an Grenzen, wenn mit Fortsetzung des Suchtmittelkonsums das Risiko erneuter Gewalterfahrungen steigt und notwendige Schritte zur Gestaltung eines gewaltfreien Lebens nicht gegangen werden können bzw. mühsam erarbeitete Veränderungen nicht von Dauer sind.

Also erst die Sucht in den Griff bekommen? Der Behandlung der Suchterkrankung Priorität einzuräumen, gestaltet sich ebenso schwierig. In vielen suchtspezifischen Einrichtungen sehen sich Patientinnen einer deutlichen Überzahl von Patienten ausgesetzt, von denen ein nicht geringer Anteil unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen selbst Täterverhalten gezeigt hat. Das auf die Behandlung in Gruppen ausgerichtete Setting überfordert dual betroffene Frauen und wird ihrem besonderen Bedürfnis nach Sicherheit, Kontrolle und Selbstbestimmung nicht gerecht. Eigene Gewalterfahrungen werden unter diesen Bedingungen eher nicht zur Sprache gebracht, obwohl dies für das Verständnis der Suchtentwicklung und der Funktionalität des Konsums wesentlich ist (vgl. Vogelsang 2007). Zwar gibt es bereits Fachkliniken, die sich auf die Behandlung von Frauen spezialisiert haben und in deren Behandlungskonzept traumaspezifische Angebote integriert sind, allerdings nur an wenigen Standorten. Eine Herauslösung aus dem gewohnten Umfeld mag zwar auf den ersten Blick auch im Sinne der Unterbrechung der Gewalt sinnvoll erscheinen, stellt jedoch für viele Frauen z. B. wegen der Verantwortung für Kinder oder aufgrund der Angst vor Verlust an Kontrolle und Orientierung keine Alternative zu ambulanter Behandlung dar.

Zurück in das eigene Lebensumfeld – Bedarf an nachgehendet Betreuung

Problematisch in Bezug auf die Dualproblematik gestaltet sich dann auch der Wechsel aus dem stationären Setting zurück in das eigene Lebensumfeld. Gewaltschutzeinrichtungen etablieren eine nachgehende Betreuung mit dem Fokus Gewaltfreiheit, suchtspezifische Einrichtungen eine Nachsorge mit dem Fokus auf Aufrechterhaltung der Abstinenz. Nur zusammen kommt das in der Praxis nicht. Aber wie stehen die Chancen auf eine abstinente Lebensgestaltung in einem gewalttätigen Umfeld? Und andersherum: Wie hoch sind die Chancen auf Selbstbestimmung und Gewaltfreiheit bei Fortsetzung des Konsums?

Nicht einfacher wird die Situation dadurch, dass die personellen Ressourcen aller beteiligten Einrichtungen mehr als begrenzt sind und sich viele Kolleg/innen am Rande ihrer Belastbarkeit bewegen. Das hat u. a. zur Folge, dass kaum Spielraum für den Blick über den eigenen Tellerrand bleibt, es eher um Abgrenzung als um Öffnung geht und standardisierte Abläufe zu Ungunsten individueller Lösungsansätze favorisiert werden.

Liegt eine Chance auf Entlastung und für eine bessere Versorgung Betroffener vielleicht genau in der Umkehr dieses Prozesses? Welche Möglichkeiten eröffnen sich, wenn die Durchlässigkeit zwischen den Hilfesystemen erhöht und Ressourcen miteinander verknüpft werden? Diese Fragen haben uns im Verein Frauen helfen Frauen e.V. Rostock bewegt und die Idee von „GeSA“ (Gewalt – Sucht – Ausweg) geprägt. Wenn die Themen Sucht und Gewalt so oft eine Allianz bilden, warum sollten dies dann nicht auch Kolleg/innen aus den Arbeitsbereichen tun, die Betroffene begleiten?

Das Bundesmodellprojekt GeSA

Im Januar 2015 startete GeSA in Trägerschaft des Vereins Frauen helfen Frauen e.V. Rostock und als Bundesmodellprojekt gefördert durch das Bundesgesundheitsministerium.

Netzwerkbildung und Wissenstransfer

Die Umsetzung des Projektes erfolgte auf zwei Arbeitsebenen. Die erste Ebene bildeten die Kooperationsteams Rostock und Stralsund. Ein Kooperationsteam setzte sich aus insgesamt mindestens vier Vertreter/innen der stationären und ambulanten Suchtkrankenhilfe sowie der Gewaltschutzeinrichtungen zusammen. Die Kooperationsteams bildeten das Herzstück des Projektes und trugen die fachliche, inhaltliche und organisatorische Verantwortung. Damit gab es erstmalig eine fallunabhängige, kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Vertreter/innen beider Hilfesysteme.

Die zweite Ebene bildeten die regionalen Verbände. Innerhalb der regionalen Verbände vereinigten sich verschiedenste Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe, des Gewaltschutzes, des Gesundheitswesens, der Kinder- und Jugendhilfe sowie andere wichtige Kooperationspartner wie z. B. die Wohnungslosenhilfe, die Polizei, der Sozialpsychiatrische Dienst, das Jobcenter oder die Selbsthilfe. Nach einer Phase der Akquise trafen sich die Regionalverbände in den beiden Modellregionen Rostock und Stralsund im Frühjahr 2015 erstmalig. Es ist keine Übertreibung, zu behaupten, dass sich hier eine wahre Schatztruhe an Wissen und Kompetenz zusammenfand.

Wir entschieden uns für eine sehr praxis- und ergebnisorientierte Zusammenarbeit. Den Grundstein legten zwei Fachtage pro Modellregion, die wir dazu nutzten, Basiswissen zu den Themen Sucht und Gewalt, aber auch zur Struktur der entsprechenden Hilfesysteme zu vermitteln. Danach arbeiteten wir im Rahmen von Fachforen zusammen, von denen bisher zehn pro Region stattfanden. Verschiedene Einrichtungen wechselten sich als Gastgeberinnen ab und bekamen die Möglichkeit, sich und ihre Arbeitsinhalte vorzustellen. Es ging darum, unterschiedliche Angebote kennenzulernen, einen Einblick in die Arbeitsweise, die Möglichkeiten und Grenzen der Einrichtung zu bekommen. Der Hauptschwerpunkt der Veranstaltungen lag aber auf der Darstellung eines Falles aus dem Arbeitsalltag der gastgebenden Einrichtung, mit dem wir uns im Rahmen einer Fallkonferenz gemeinsam auseinandersetzten. Die zu Beginn häufig geäußerte Befürchtung, dass es in der eigenen Einrichtung vielleicht gar keine Berührung zur Thematik gäbe, bestätigte sich nicht. Wirklich jede Einrichtung hatte Erfahrungen im Umgang mit betroffenen Frauen und stellte diese, streng anonymisiert, den anderen Beteiligten zur Verfügung.

Da die Sensibilisierung für die Situation betroffener Frauen ein wichtiges Ziel des Projektes darstellte, wurden in den Fallkonferenzen die verschiedenen Positionen der Fallbeteiligten eingenommen – also die Perspektive einer betroffenen Frau, relevanter Personen aus ihrem Umfeld ebenso wie des Hilfesystems. Diese Vorgehensweise führte auf konstruktive Art und Weise zu regen Auseinandersetzungen, in denen sich sehr eindrücklich die Prägung durch das eigene Arbeitsfeld, Ressentiments und Schubladendenken ebenso wie die Unterschiede zwischen Wünschen und Erwartungen von Betroffenen im Vergleich zu denen des Hilfesystems offenbarten. Danach erfolgte der Wechsel zurück zur Perspektive der Expert/innen für das eigene Fachgebiet, um Ideen und Anknüpfungspunkte für sinnvolle Kooperationsmöglichkeiten zu entwickeln. Bei diesen Überlegungen spielte die Wahrung der Selbstbestimmung betroffener Frauen eine grundlegende Rolle. Die erarbeiteten Formen der Kooperation wurden natürlich auch in der Praxis erprobt. Dabei machten wir Erfahrungen von fallübergreifender Relevanz:

Übergänge gestalten

Es ist kein Geheimnis, dass sich Klient/innen ihre Ansprechpartner/innen selbst aussuchen. Kompetenz und Fachwissen spielen für die Auswahl eine untergeordnete Rolle, bestimmend sind vielmehr zwischenmenschliche Aspekte und die Qualität der Beziehung. In der Praxis bedeutet dies, dass eine Klientin mit einer sexualisierten Gewalterfahrung nicht zwingend den Kontakt zu einer entsprechenden Fachberaterin sucht, sondern sich einer bereits vertrauten Person, möglicherweise ihrer Hausärztin, einer Suchtberaterin oder dem Fallmanager vom Jobcenter gegenüber öffnet. Eine unverbindliche Weitervermittlung an zuständige Einrichtungen scheitert oft. Klientinnen fühlen sich dadurch häufig zurückgewiesen, haben das Gefühl, mit dieser Thematik eine zu große Belastung zu sein. Außerdem kann die Kontaktaufnahme zu einer gänzlich unbekannten Institution eine Überforderung darstellen. Solche Übergänge gelangen dann leichter, wenn Klientinnen den Eindruck eines vertrauensvollen Verhältnisses zwischen den Beteiligten der unterschiedlichen Einrichtungen hatten. Klientinnen beschrieben, das habe ihnen Sicherheit vermittelt. Aber auch die professionellen Unterstützer/innen fühlten sich hinsichtlich einer Empfehlung sicherer, wenn sie eine genaue Vorstellung und Kenntnis des jeweiligen Angebotes hatten und wussten, was oder auch wer die Klientin erwarten würde. Noch positiver auf die Gestaltung von Übergängen wirkten sich begleitete Erstkontakte aus. Auch anonyme Erstkontakte, bei denen die Beraterin/der Berater in das vertraute Setting der Klientin eingeladen wird, um sich vorzustellen, erwiesen sich als hilfreich.

Coaching von Kolleg/innen

Eine weitere Möglichkeit stellte das Coaching von Kolleg/innen dar. So konnten Klientinnen Unterstützung auch dann erfahren, wenn sie sich gegen das Aufsuchen spezialisierter Einrichtungen entschieden. Dies musste eben nicht bedeuten, das Thema wieder ‚ad acta‘ zu legen, sondern die Klientinnen konnten erste Anregungen für den Umgang mit der Situation eben schon von der jeweiligen Vertrauensperson erhalten, auch wenn diese nicht Expert/in für das Fachgebiet war. Die Entscheidung über eine Öffnung blieb in der Hand der Klientin.

Begleitung von Klientinnen im Tandem

Als hilfreich erwies sich auch die Begleitung von Klientinnen im Tandem, also durch zwei Berater/innen aus unterschiedlichen Hilfesystemen gleichzeitig. Fachlich lag ein entscheidender Vorteil darin, bei der Entwicklung abstinenzsichernder Handlungsstrategien die besondere Funktionalität des Suchtmittels bei der Bewältigung aktueller oder auch in der Vergangenheit liegender Gewalterfahrungen zu berücksichtigen. Anders in den Blick genommen wurde außerdem die Herstellung eines sicheren und gewaltfreien Lebensraumes als wichtige Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Abstinenz. Zumindest bei den Klientinnen, die wir im Rahmen des Modellprojektes in dieser Form begleiteten, gab es kaum Kontaktabbrüche und selbst nach Rückfallgeschehen eine hohe Bereitschaft, den Zugang über das eine oder das andere Hilfesystem zu suchen, um Unterstützung bei der Aufarbeitung bzw. zur Beendigung der Krise zu erhalten. Dabei zeigte sich, dass Rückfälle in alte Beziehungsmuster eher der Suchtberaterin anvertraut wurden, Rückfälle in altes Konsumverhalten eher der Beraterin aus dem Gewaltschutzbereich. Zugleich war es aber in den meisten Fällen ausdrücklicher Wunsch, den jeweils anderen Fachbereich wieder mit ins Boot zu holen.

Tandemberatungen ermöglichten auch eine Kontinuität in der Begleitung von Klientinnen. Krankheits- und urlaubsbedingte Abwesenheiten konnten aufgefangen werden und bedeuteten für die Klientin nicht, sich einer für sie fremden Person öffnen zu müssen. Diese Vorgehensweise erscheint auch als spezifische Form der Nachsorge bei der Gestaltung von Übergängen aus der stationären Rehabilitation Sucht oder dem schützenden Rahmen eines Frauenhauses zurück in den Alltag als sinnvoll.

Ergebnisse aus dem Projekt GeSA

GeSA konnte ganz sicher nicht alle Erwartungen erfüllen und auch nicht alle Versorgungslücken schließen. Wir haben keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse geliefert, keine neuen Interventionsmethoden entwickelt, sondern eher dafür gesorgt, das bereits Bekanntes und Erprobtes möglichst vielen am Unterstützungsprozess Beteiligten unkompliziert zugänglich wird. Wir sind auch keine neue Behandlungsstelle, an die Betroffene einfach weitervermittelt werden können. Es fehlt immer noch an einem sicheren Ort für Frauen, die nicht auf den Konsum eines Suchtmittels verzichten können oder wollen, und die dennoch ein Recht auf Schutz vor Gewalt haben. Wunder haben wir also nicht vollbracht. Wir waren nur so gut oder eben auch so schlecht, wie es die Ressourcen aller beteiligten Einrichtungen hergaben. Aber wir konnten zeigen, dass es durch die Reduzierung von Schnittstellenproblemen und eine relativ geringe Ressourcenerweiterung möglich ist, die Situation von Frauen, die von einer Dualproblematik betroffen sind, zu verbessern. Wir haben eine Strategie für eine professions- und systemübergreifende Zusammenarbeit entwickelt, die den Transfer von Wissen und die Erprobung neuer Kooperationsformen im Einzelfall ermöglicht.

Einen zeitlichen Mehraufwand bedeutete dies schon. Ohne die zusätzlichen Ressourcen, die uns als Bundesmodellprojekt zur Verfügung standen, wäre dies nicht leistbar gewesen. Von welchem Aufwand sprechen wir konkret? Die Kooperationsteams von GeSA bestanden aus vier Kolleginnen aus den Arbeitsbereichen Gewaltschutz und Suchthilfe. Ihnen standen fünf Arbeitsstunden pro Woche als zusätzliche Ressource für die Aufgaben im Rahmen des Modellprojektes zur Verfügung. Das erwies sich als ausreichendes zusätzliches Zeitfenster. Mit ihrem Hauptstandbein verblieben die Kolleginnen in ihrem Arbeitsfeld. Und gerade das war für die Reduzierung von Schnittstellen zwischen den Hilfesystemen von entscheidendem Vorteil. Es geht also nicht darum, neue Personalstellen oder Strukturen, z. B. in Form weiterer spezialisierter Einrichtungen, zu schaffen. Vielmehr sollte es ja gerade gelingen, dass sich vorhandene Strukturen auf die besonderen Bedürfnisse betroffener Frauen einstellen und sich miteinander vernetzen. Dies ist tatsächlich ein geringer Aufwand im Verhältnis zum möglichen Nutzen, bedenkt man die massiven Auswirkungen von Sucht und Gewalt auf die psychische und seelische Gesundheit, die Erwerbsfähigkeit und gesellschaftliche Teilhabe Betroffener.

Die Kooperationsteams von GeSA sind das Vorbild, wenn wir im Ergebnis unserer Erfahrungen aus dem vierjährigen Bundesmodellprojekt für die Etablierung und regelhafte Finanzierung regionaler Coachingteams plädieren. Wichtigste Zielsetzungen der Coachingteams sind:

  • Reduzierung von Schnittstellenproblemen zwischen beteiligten Hilfesystemen
  • ‚Lotsenfunktion‘ für Betroffene, Gestaltung niedrigschwelliger Zugänge in die Hilfesysteme
  • Abbau von Vermittlungshemmnissen
  • Intensivere Nachbetreuung Betroffener nach Reha-Aufenthalt unter Berücksichtigung der Dualproblematik mit dem Ziel der Sicherung der Reha-Ergebnisse
  • Begleitung der Reintegration in das soziale Umfeld unter besonderer Berücksichtigung der Dualproblematik
  • Vermeidung der Einschränkung bzw. des Verlustes der Erwerbsfähigkeit durch verbesserte Früherkennung einer Dualproblematik und gezieltere Vermittlung
  • Prävention zum Schutz mitbetroffener Kinder in gewalt- und suchtmittelbelasteten Familien

An engagierten und qualifizierten Fachkräften aus den Bereichen der Suchthilfe und des Gewaltschutzes fehlt es nicht. Das hat sich im vierten Jahr des Modellprojektes, das mit dem Auftrag der bundesweiten Verbreitung verknüpft war, deutlich gezeigt. Was es jetzt noch braucht, ist die Übernahme politischer Verantwortung. Sucht und Gewalt dürfen nicht zum individuellen Problem Betroffener gemacht werden, denn die Ursachen beider Problembereiche sind nicht zuletzt gesellschaftlich determiniert.

Kontakt:

Petra Antoniewski
Projektleiterin GeSA
Frauen helfen Frauen e.V. Rostock
Ernst-Haeckel-Str. 1
18059 Rostock
gesa@fhf-rostock.de
Tel. 0381/440 3294
www.fhf-rostock.de/gesa

Angaben zur Autorin:

Petra Antoniewski, Dipl.-Sozialpädagogin, Sozialtherapeutin Sucht, war von 2000 bis 2009 als Bezugstherapeutin in der stationären und ganztägig ambulanten Rehabilitation Sucht tätig. Seit 2009 ist sie Leiterin der Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt des Frauen helfen Frauen e.V. Rostock und seit 2015 Projektleiterin des Bundesmodellprojektes „GeSA“.

Literatur:
  • BMFSFJ (2013): Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder, Berlin
  • Bundeskriminalamt (2015): Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung des BKA-Berichtsjahres, Wiesbaden
  • FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (Hg.) (2014): Gewalt gegen Frauen. Eine EU-weite Erhebung. Ergebnisse auf einen Blick
  • Oberlies, D./Vogt, I. (2014): Gewaltschutz für alkohol- und drogenabhängige Frauen/Mütter: Untersuchung zur Passung der Hilfsangebote zum Bedarf. Abschlussbericht
  • Schröttle, M./Müller, U. (2004): Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Ergebnisse der repräsentativen Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Kurzfassung BFMSFJ
  • Vogelsang, M. (2007): Suchtkranke Frauen: Teufelskreis der Hilflosigkeit. In: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 104, Heft 41
  • Vogt, I./Fritz, J./Kuplewatzky, N. (2015): Süchtige und von Gewalt betroffene Frauen. Nutzung von formalen Hilfen und Verhaltensmuster bei Beendigung der Gewaltbeziehung. gFFZ Online-Publikation Nr. 4